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Diesseits vom Paradies

Diesseits vom Paradies

Titel: Diesseits vom Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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wie unterschiedlich Verstand und Talent der Menschen auch sein mögen, ihre Mägen grundsätzlich die gleichen sind.«
    Der kleine Mann kriegt sein Fett
    »Wenn man alles Geld der Welt nähme«, sagte der kleine Mann sehr tiefsinnig, »und es zu gleichen Teilen auf –«
    »Ach, seien Sie doch still!«, sagte Amory brüsk und fuhr in seinem Gedankengang fort, ohne den entrüsteten Blick des kleinen Mannes zu beachten.
    [398] »Der menschliche Magen –«, begann er, doch der große Mann unterbrach ihn einigermaßen unwillig.
    »Sprechen Sie von mir aus, worüber Sie wollen«, sagte er, »aber das Thema Magen lassen Sie bitte beiseite. Ich spüre meinen schon den ganzen Tag. Außerdem bin ich nicht mal zur Hälfte mit dem einverstanden, was Sie da sagen. Grundlage all Ihrer Argumente ist Verstaatlichung, und das ist unweigerlich die Brutstätte für Korruption. Die Menschen arbeiten nicht für blaue Bänder, das ist doch alles Quatsch.«
    Als er zu Ende war, setzte der kleine Mann mit einem entschiedenen Nicken zu einer Rede an, als sei er diesmal fest entschlossen, sich nicht mehr unterbrechen zu lassen.
    »Es gibt gewisse Dinge, die liegen einfach in der menschlichen Natur«, versicherte er mit einem eulenhaften Blick. »Die hat’s schon immer gegeben und wird’s immer geben, die kann man nicht ändern.«
    Amory blickte hilflos von dem kleinen zum großen Mann.
    »Hören Sie sich das an! Das ist es, was mich am Fortschritt zweifeln lässt. Hören Sie sich das bloß an! Ich kann auf Anhieb über einhundert Naturerscheinungen nennen, die durch menschliche Willensanstrengung verändert worden sind – hundert Instinkte im Menschen, die ausgelöscht wurden oder jetzt von der Zivilisation im Zaum gehalten werden. Was dieser Mann hier gerade sagte, ist seit Tausenden von Jahren die letzte Zuflucht für die vereinigten Schafsköpfe der ganzen Welt. Es leugnet die Anstrengungen aller Wissenschaftler, Staatsmänner, Moralisten, Reformer, Doktoren und Philosophen, die je ihr Leben in den Dienst der Menschheit gestellt haben. Es stellt glatt alles in Frage, was an der menschlichen Natur wertvoll ist. Jedem über [399] fünfundzwanzig, der bedenkenlos so etwas äußert, sollte das Wahlrecht entzogen werden.«
    Der kleine Mann lehnte sich purpurrot vor Wut in den Sitz zurück. Amory richtete sich weiterhin an den großen Mann und fuhr fort:
    »Diese viertelgebildeten, eingetrockneten Denker wie Ihr Freund hier, die bloß denken, dass sie denken; bei jedem Thema, das zur Sprache kommt, werden Sie einen von seiner Sorte in dem üblichen schauerlichen Wust von Ideen finden. Im einen Moment sind es ›diese brutalen und unmenschlichen Preußen‹ – im nächsten heißt es, ›man sollte das ganze deutsche Volk ausrotten‹. Sie finden immer, dass es um die Dinge ›augenblicklich schlecht steht‹, aber sie ›trauen diesen Idealisten nicht‹. Im einen Moment nennen sie Wilson ›einen bloßen Träumer, keinen Praktiker‹ – ein Jahr später beschimpfen sie ihn, weil er seine Träume verwirklicht hat. Sie haben über nichts, aber auch gar nichts klare logische Vorstellungen außer einer hartnäckigen und dumpfen Abwehr gegen jede Veränderung. Sie halten nichts davon, Ungelernte gut zu bezahlen, aber sie sehen einfach nicht, dass, wenn sie die Ungelernten nicht bezahlen, deren Kinder wiederum Ungelernte sein werden und wir uns ewig im Kreis drehen. Und das ist nun die große Mittelschicht!«
    Der große Mann beugte sich vor, ein breites Grinsen auf dem Gesicht, und lächelte dem kleinen Mann zu.
    »Du wirst ganz hübsch in die Mangel genommen, Garvin; wie gefällt dir das?«
    Der kleine Mann versuchte, zu lächeln und so zu tun, als sei ihm die ganze Sache zu idiotisch, um sie überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Doch Amory war noch nicht fertig.
    [400] »Die Theorie, dass Menschen fähig sind, sich selbst zu regieren, stützt sich auf diesen Mann. Wenn er dazu erzogen werden kann, klar, präzise und logisch zu denken und die Angewohnheit abzulegen, Zuflucht bei Platitüden und Vorurteilen und Sentimentalitäten zu suchen, dann bin ich ein militanter Sozialist. Wenn nicht, dann, glaube ich, ist es ziemlich egal, was mit dem Menschen oder seinen Systemen noch passiert, ob jetzt oder später.«
    »Es interessiert mich und amüsiert mich zugleich«, sagte der große Mann. »Sie sind noch sehr jung.«
    »Was vielleicht nur bedeutet, dass ich durch die Erfahrungen meiner Zeit bisher weder korrumpiert noch eingeschüchtert worden bin.

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