Diesseits vom Paradies
einen ehrlichen Versuch, die gesamte Industrie zu verstaatlichen.«
»Das hat sich bereits als Fehlschlag erwiesen.«
»Nein – es ist bloß nicht zustande gekommen. Wenn sie verstaatlicht wäre, würden die Wirtschaftskoryphäen des Staates ihr analytisches Denken in den Dienst einer Sache stellen, die nicht nur sie selbst betrifft. Wir hätten Mackays anstelle von Burlesons; wir hätten Morgans im Finanzministerium; wir hätten Hills für die Leitung des zwischenstaatlichen Handels. Wir hätten die besten Juristen im Senat.«
[395] »Sie würden doch nicht umsonst ihr Bestes geben. McAdoo…«
»Nein«, sagte Amory kopfschüttelnd. »Geld ist nicht der einzige Anreiz, das Beste aus einem Mann herauszuholen, nicht einmal in Amerika.«
»Das haben Sie aber vor einer Weile noch behauptet.«
»Jetzt ist es so. Aber wenn es gesetzlich verboten wäre, mehr als eine bestimmte Summe zu besitzen, würden die Besten sich alle um die einzige andere Belohnung scharen, die die Menschheit zu reizen vermag – Ehre.«
Der große Mann gab ein Geräusch von sich, das sehr stark nach »Pah« klang.
»Das ist das Dümmste, was Sie bisher gesagt haben.«
»Nein, es ist nicht dumm. Es ist ziemlich plausibel. Wenn Sie im College gewesen wären, dann wäre Ihnen aufgefallen, dass die Studenten dort doppelt so hart für eine dieser hundert lächerlichen Auszeichnungen arbeiten wie andere, die sich gleich aufs Geldverdienen werfen.«
»Kinkerlitzchen – kindische Spielchen!«, höhnte sein Gegenspieler.
»Keineswegs – außer, wir alle sind Kinder. Haben Sie schon einmal einen Erwachsenen gesehen, der versucht, in eine Geheimgesellschaft aufgenommen zu werden? Oder eine aufstrebende Familie, die sich um die Mitgliedschaft in einem Club bewirbt? Die fahren schon beim bloßen Klang des Wortes in die Höhe. Die Vorstellung, dass man einem Mann Gold vor die Nase halten muss, um ihn zum Arbeiten zu bringen, hat sich erst allmählich herausgebildet, sie ist keineswegs eine unbestrittene Tatsache. Wir sind schon so lange daran gewöhnt, dass wir vergessen haben, wie es [396] anders gehen könnte. Wir haben eine Welt gestaltet, in der das notwendig ist. Ich sage Ihnen« – Amory redete sich in Begeisterung –, »wenn man zehn Männer ebenso gegen Reichtum wie gegen den Hunger versicherte und ihnen für fünf Stunden Arbeit am Tag ein grünes und für zehn Stunden Arbeit am Tag ein blaues Band verspräche, würden neun von zehn sich um das blaue Band bemühen. Dieser Wettkampfinstinkt braucht nur ein Abzeichen. Wenn die Größe ihres Hauses das Abzeichen ist, dann strampeln sie sich dafür ab. Wenn es nur ein blaues Band ist, dann bin ich mir verdammt sicher, dass sie dafür genauso hart arbeiten. Zu anderen Zeiten haben sie es auch getan.«
»Ich bin nicht Ihrer Meinung.«
»Ich weiß«, sagte Amory und nickte traurig, »aber das spielt keine Rolle mehr. Ich glaube, dass diese Leute ganz einfach kommen und sich nehmen, was sie wollen, und zwar ziemlich bald.«
Der kleine Mann ließ ein wütendes Zischen vernehmen.
»Maschinengewehre!«
»Tja, aber Sie haben ihnen beigebracht, sie zu bedienen.«
Der große Mann schüttelte den Kopf.
»In diesem Land gibt es genug Grundbesitzer, um das zu verhindern.«
Zu seinem Leidwesen kannte sich Amory mit den Statistiken über Grundbesitzer und Nicht-Grundbesitzer nicht aus; er beschloss, das Thema zu wechseln.
Doch der große Mann war jetzt gereizt.
»Wenn Sie von ›wegnehmen‹ sprechen, schneiden Sie ein brenzliges Thema an.«
»Wie sollen sie’s denn kriegen, wenn sie sich’s nicht [397] nehmen? Seit Jahren werden die Leute mit Versprechungen hingehalten. Sozialismus ist vielleicht nicht unbedingt Fortschritt, aber die Drohung mit der roten Flagge ist mit Sicherheit ein kräftiger Ansporn für jede Reform. Man muss auf Effekte setzen, um Aufmerksamkeit zu wecken.«
»Russland ist Ihr Beispiel einer wohltätigen Gewalt, nehme ich an?«
»Gut möglich«, gab Amory zu. »Natürlich artet es aus, genau wie die Französische Revolution damals, aber für mich besteht kein Zweifel, dass es tatsächlich ein großartiges Experiment und wohl der Mühe wert ist.«
»Halten Sie denn nichts von Mäßigung?«
»Man würde auf die Gemäßigten ja doch nicht hören, und es ist schon fast zu spät. Die Wahrheit ist, dass die Öffentlichkeit etwas Erschreckendes und Erstaunliches getan hat, was sie nur einmal in hundert Jahren tut. Sie hat eine Idee begriffen.«
»Und die wäre?«
»Dass,
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