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Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition)

Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition)

Titel: Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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Wasserfälle wahrscheinlich für Massentouristen erschaffen, für richtig coole Fürsten aber hat er Vulkane erfunden, so dachte Fritz Franz, als er seinen künstlichen Vulkan baute.
    Er hatte viel vor in Wörlitz und hat sich an manchen Stellen deutlich übernommen. Das macht ihn in meinen Augen noch sympathischer. Eigentlich werden die Deutschen nämlich am spannendsten, wenn sie sich übernehmen. In der Regel passiert ihnen das nicht, sie gehen in der Öffentlichkeit am liebsten auf Nummer sicher. Ihr Weg ist der eines langsamen, aber unermüdlichen Pragmatismus. Doch manchmal bricht dieser Weg ab, und plötzlich wollen die Deutschen die ganze Welt glücklich machen. Oder wenn nicht die ganze Welt, dann zumindest die EU . Sie verbieten per Gesetz Sex mit Tieren, marschieren nach Afghanistan oder bauen einen Vulkan in ihren Garten. Für unseren Gartenfilm kletterten wir auf den »Vesuv«, wir drehten in der Orangerie, auf der Apfelplantage, im Schloss und auf dem Drehbergfest, das jedes Jahr in Sommer stattfindet. Zu Lebzeiten des Fürsten sollten seine Untertanen bei diesem Fest ihre über das Jahr erworbenen Kenntnisse in einer schönen und gehobenen Form präsentieren. Heutzutage machen das statt Untertanen die Schüler des Dessauer Gymnasiums. Ihr Direktor und ein Schauspieler aus dem dortigen Theater ziehen sich adelig an und jagen die Schüler um den Drehberg herum. Die Stimmung bei diesem Fest begeisterte mich. In unserer Berliner Schule habe ich eine solche Bereitschaft, zusammen zu feiern, nicht bemerkt. Ganz egal, mit welchen tollen Angeboten die Menschen der Großstadt überschüttet werden, jeder will etwas anderes und nie das, was er nach Meinung der Schulleitung wollen sollte. Hier bei Dessau aber hatten sie nach dem Untergang der DDR nach neuen Orientierungspunkten gesucht, nach einem Grund, weiter zusammenzuleben. Sie haben tief in die Geschichtskiste geschaut und den Fürsten Fritz Franz mit seinem Gartenreich-Konzept ausgegraben. Nun sind sie seine Kinder. Sie laufen lustvoll um den Drehberg herum, die Schüler, ihre Eltern und Lehrer. Sie haben alle eine andere Haarfarbe und unterschiedliche Herkunftsländer, aber sie fühlen sich in diesem Garten zu Hause, und sie gehören zusammen.
    Die ganze Zeit hielt ich mich in Wörlitz in der Nähe von Wasser auf, in der Hoffnung, dass wir von der Gartendirektion eine Angelerlaubnis bekämen. Generell ist das Angeln in Wörlitz verboten, es muss also hier von Fischen nur so wimmeln. Doch die Gartendirektion blieb streng. Entweder alle oder keiner, meinten sie. Ich hatte den Eindruck, nicht nur alle Bäume und Pflanzen, auch alle Fische waren in Wörlitz gezählt und katalogisiert. Ich durfte also nicht angeln. Dafür erzählte mir ein Gondoliere, wie die Orangenbäume nach Dessau gekommen waren. Es gab wohl einmal drei holländische Prinzessinnen, die diese besondere, kälteresistente Orangensorte gezüchtet und in die Welt gebracht hatten. Zwei von ihnen heirateten nach Deutschland, und ihnen zu Ehren wurden zwei Orte in Oranienbaum und Oranienburg umbenannt. Die dritte ging angeblich nach Russland und pflanzte in der Nähe von St. Petersburg, einer sumpfigen Gegend, ihre Orangenbäume. Deswegen gibt es auch dort ein Städtchen namens Oranienbaum.
    Das Städtchen kannte ich, habe dort jedoch nie Orangen gesehen, und von der holländischen Prinzessin, die nach Russland geheiratet hatte, hatte ich auch noch nie gehört. Meine Frau, die in St. Petersburg studiert hat, erzählte mir, dass sie als junge Studenten jedes Jahr nach Oranienbaum geschickt worden waren, um der dortigen Kolchose bei der Kartoffelernte zu helfen. Sie hat Oranienbaum deswegen als Kartoffelhochburg in Erinnerung behalten, mit riesigen Kartoffelfeldern, so weit das Auge reichte. Die Kartoffeln dort schmeckten allerdings ungewöhnlich süßlich, es war eine besondere Sorte, wie die Einheimischen ihr erzählten. Entweder hatte die dritte holländische Prinzessin in Russland aus Versehen etwas Falsches gepflanzt, oder die Orangen haben sich unter dem Einfluss des Klimas in Kartoffeln verwandelt.
    Unser zweiter Garten war Lednice, eine groß angelegte tschechische Gartenanlage, achtzig Kilometer von Wien entfernt, quasi direkt an der tschechisch-österreichischen Grenze gelegen. Früher befand sich hier die Residenz der Familie Liechtenstein. Es war eine schicke, ebenfalls gut geschnittene Gartenanlage, vielleicht nicht so perfekt wie die deutsche, aber immerhin. Man merkte sofort, dass der

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