Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition)
versprechen gerne etwas. Man konnte sich also durchaus mit den dortigen Gartenfreunden verabreden, sie kamen aber einfach nicht. Entweder waren sie gerade anderswo beschäftigt, oder sie hatten keine Lust. Dann hatten sie auf einmal doch unerwartet große Lust, mit uns zu sprechen, nun war aber die Kamera gerade nicht da, das Licht war falsch, oder der Tontechniker war beim Schaschlikessen von einer russischen Wespe in die Zunge gebissen worden, weil er meine Warnung, dass man in Russland den Mund nicht zu weit aufmachen durfte, ignoriert hatte.
Die Beziehung zwischen den deutschen und russischen Gartenfreunden war außerdem durch den Krieg belastet. Pawlowsk war im Krieg evakuiert worden, das Schloss sollte gesprengt werden, vieles war kaputtgegangen. Als die Deutschen geschlagen waren und die Russen zurückkamen, wirbelte der Wind im Park die zerfetzten Reste einmaliger Bilder aus der Kunstgalerie auf, unter anderem vom einzigen Porträt von Zar Peter dem Großen, das zu seinen Lebzeiten gemalt worden war. Die älteren Mitarbeiter des Museums erzählten uns gerne Geschichten über die deutsche Barbarei. Man habe schon bevor die Nazis kamen gewusst, dass sie versuchen würden, alles Schöne und Zeitlose im Park zu vernichten, damit keine Erinnerung an die slawische Hochkultur übrig blieb. Deswegen hatten die Russen, bevor sie dem Feind wichen, alle Bestände in Park und Schloss genau dokumentiert, um nach dem Sieg die ganze Anlage schnell wieder aufbauen zu können. Diese Arbeit wurde direkt vom Komitee für Staatssicherheit, damals NKWD genannt, organisiert. Es war nach dem Krieg die einzige Behörde, die genug Mittel und qualifizierte Arbeitskräfte hatte, um eine solche Restaurierung durchzuführen. Auf diese Weise wurden das Schloss und der Park in kürzester Zeit originalgetreu wieder aufgebaut und dienen heute dem Gedenken an den Sieg der russischen Kultur über die deutsche Barbarei.
Diese Version erzählten die älteren Mitarbeiter des Parks. Die jüngere Generation der Gartenpfleger behauptet jedoch, die Russen selbst wollten den Park und das Schloss sprengen, bevor sie sich zurückzogen. Laut eines unmissverständlichen Befehls von Stalin sollte dem Feind nichts als verbrannte Erde überlassen werden. Die Bilder, deren Reste der Wind durch den Park wehte, wären ebenfalls von NKWD -Truppen zerrissen worden. Aus heutiger Sicht ist die historische Wahrheit kaum noch zu erfassen. Der Krieg an sich ist eine Barbarei, eine jeder Kultur zutiefst feindliche Handlung, tödlich für Menschen und Gärten.
Auch Pawlowsk wies eine nahe Verwandtschaft mit Wörlitz auf, nur dass dort, wo in Wörlitz Eichen standen, es in Pawlowsk Birken waren, und statt Wurstbuden und Ständen, an denen die deutschen Bürger sich ein frisch Gezapftes in der Natur gönnen, stellen die Russen Grills auf, braten Schaschlik und trinken ihr Starkbier dazu.
Der russische Staat ist in der letzten Zeit immer religiöser geworden, nicht weil er Gottes Gnade sucht, nein, aus pragmatischen Gründen. Der frühere Atheismus der Sowjetzeit hatte bereits urchristliche Merkmale, die gut zur sozialistischen Gesellschaft passten: Jeder sollte das Gleiche wollen und haben, das Gleiche von sich geben und das Gleiche bekommen. Im heutigen Russland bedarf es wieder überzeugender Erklärungen, zum Beispiel dafür, warum die einen alles haben und die anderen nichts. Die Kirche übernimmt an dieser Stelle. Zum einen macht sie klar, dass sich gerade denjenigen, die nichts haben, die großartigsten Perspektiven nach ihrem Tod eröffnen, zum anderen erlaubt die Kirche den Reichen, für einen geringfügigen Teil ihres Reichtums mit gutem Gewissen ihr irdisches Leben auf Kosten der Allgemeinheit zu genießen. Die russische Orthodoxie gibt sich Mühe, nach allen Seiten behilflich zu sein: Dem Staat hilft sie, die Gesellschaft zu stabilisieren, den Reichen, sich für ihren Reichtum nicht schämen zu müssen, den Armen mit der Hoffnung auf ein besseres Leben im Himmel. Und alle sind bedient. Die orthodoxen Popen nehmen ihre Aufgaben sehr ernst. Kaum eine andere Kirche hat so viele religiöse Feste zu feiern, so viele Heilige und Reliquien, wie die russisch-orthodoxe. Die Russen wurden als Letzte vor tausend Jahren christianisiert, sie sind die jüngsten Christen Europas, aber während der tausend Jahre seit der russischen Christianisierung haben sich jede Menge heidnische Sitten christlich gefärbt und sind in der Kirche geblieben.
Alle drei Tage, die wir in
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