Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition)
ökologisch unbedenkliche Meerrettich-Konfitüre zu produzieren. Doch mein Sohn verbat es mir, auch nur daran zu denken, seinen Meerrettich an fremde Menschen zu verfüttern. Stattdessen würde er selbst alles ernten und essen, behauptete er. Auch mit den Nachbarn klappte es gut. Die Dorfbewohner grüßten mich schon von Weitem herzlich, wenn wir uns während meiner unbedarften Angelexperimente am See, auf dem Friedhof oder im Garten sahen. Natürlich waren unsere Gartenversuche in Glücklitz nur Kinderspaß und Zeitvertreib, mit richtiger gärtnerischer Tätigkeit nicht zu vergleichen.
Jenseits von Brandenburg entwickelte sich meine Gartenkarriere jedoch rasant. Der deutsch-französische Sender arte bestellte drei Gartenfilme, die ich als selbst ernannter Gartenexperte moderieren durfte. Es ging dabei nicht um Schrebergärten, sondern um die herausragendsten Gartenanlagen Europas. Das ganze Projekt trug den Titel »Diesseits von Eden. Die schönsten Gärten der Aufklärung«. Es ging dabei um einen deutschen, einen tschechischen und einen russischen Garten. In allen drei Ländern waren es die aufgeklärten Adeligen, Fürsten, Könige und Zaren, die sich der Gartenkunst hingegeben hatten. Sie hegten die Hoffnung, in einer von Menschenhand veränderten, würdigeren Umgebung würden schönere, bessere Menschen aufwachsen, die imstande wären, das Nützliche mit dem Schönen zu verbinden, zum Beispiel Kapitalismus mit Monarchie. Aus diesem Grund wollten die Adeligen in ihren Gärten keine Meerrettich-Plantagen haben, sie wollten auch weder grillen noch Ball spielen. Ihr Ziel war die Züchtung von besseren, verständnisvolleren Menschen, sie nahmen die Sache mit dem Garten daher sehr ernst. Es ging schließlich um Leben und Tod, um einen Annäherungsversuch an das eigene Volk. Der Geist der Französischen Revolution wehte bereits durch Europa, die Köpfe des Adels saßen zwar noch fest auf den Schultern, aber vielen juckte es bereits am Hals.
Unser erster Filmgarten war ein deutscher, nämlich das Gartenreich von Wörlitz, eine von Leopold III . Friedrich Franz von Anhalt-Dessau beinahe perfekt gebaute und sorgfältig gepflegte deutsche Gartenanlage. Als junger Mann hatte der Fürst viel Zeit im Ausland verbracht, um andere Kulturen und Architekturen zu bewundern. Für die jungen Adeligen war es damals Pflicht, fremde Länder aus erster Hand kennenzulernen, bevor sie sich der Gesellschaft im eigenen Land widmeten. Bloß folgten die meisten Adeligen bei diesen Reisen ihren rückschrittlichen Interessen. Sie wollten die Sitten und Bräuche vergleichen und gingen, kaum im Ausland angekommen, als Erstes in ein Bordell. Fritz Franz war aber als junger Mann unglücklich vom Pferd gefallen und hatte seitdem andere Interessen. Er war ein Weltverbesserer, kein Draufgänger, und während seine Altersgenossen sich Wein und Weib hingaben, dachte er über Bäume und Pflanzen nach.
Es gab kaum etwas Sehenswertes in Europa, was der Fürst in seinem Garten nicht nachbauen ließ: den Vesuv, die Kanäle Venedigs, Schlösser, Brücken, Naturlandschaften, sogar eine Synagoge. Seit zweihundert Jahren werden in diesem Garten über vierhundert Sichtschneisen penibel so geschnitten, dass alles genau so aussieht, wie es sich der Fürst einst vorgestellt hatte. Der Garten ist die größte Touristenattraktion und gleichzeitig ein großer Arbeitgeber in der Region. Hier sind die bundesdeutsche Realität eines EU -Landes in der Krise und die Schönheitsideale der Vergangenheit auf skurrile Weise miteinander verschmolzen. Die Frührentner, Hartz- IV -Empfänger und Teilzeitarbeiter, zum Teil als Gondoliere, zum Teil als Bauer verkleidet, fahren die Touristen auf den Kanälen hin und her, helfen ihnen über die Brücken und entzünden per Hand den Vulkan, damit er mindestens ein Mal im Jahr zum Ausbruch kommt.
Die fürstlichen Orangen- und Apfelbäume, Fritz Franz’ Versuche, die landwirtschaftlichen Erträge den Bedürfnissen der Menschen anzupassen, all das konnte ich gut nachvollziehen. Aber wozu zum Teufel brauchte der Fürst einen künstlichen Vulkan? Zuerst sollte es angeblich ein Wasserfall werden, wie ein Landschaftsplaner meinte, doch Wasserfälle schienen dem Fürsten dann nicht aufregend genug. Kleine Wasserfälle konnte man schließlich überall finden, selbst in Deutschland gab es jede Menge davon. Vulkane sind dagegen selten und alle mit einem eigenen Namen versehen. Von allen atemberaubenden Attraktionen der Welt hat Gott die
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