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Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition)

Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition)

Titel: Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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Laichausschlag?« Die Angler lernten so fleißig, als hätten sie vor, nicht nur Fische zu fangen, sondern selbst Fische zu werden. »Ist es die Anzahl von Barteln, die einen Schuppenkarpfen von einer Karausche unterscheidet?«, fragte der Angellehrer in den Saal. Viele schliefen dabei ein.
    Bei der Prüfung ging es darum, dass nur ein ausgebildeter Fachmann ein Wirbeltier töten durfte. Der Fisch durfte nicht gequält werden und der Fischer auch nicht. Den Rechten beider Seiten wurde mit einer Reihe staatlicher Gesetze Rechnung getragen. Wenn der Fischer einmal dringend in die Büsche musste, durfte er seine Rute einem Minderjährigen überlassen, der den Fisch zur Not aus dem Wasser ziehen, aber ihn nicht töten durfte. Dafür musste der Minderjährige den Fischer aus dem Busch zurückrufen.
    Mein Freund Alexander lernte die Prüfungsfragen und Antworten auswendig. Er las sie beim Frühstück und zum Mittag, vor dem Schlafengehen und beim Aufstehen. Die letzte Nacht vor der Prüfung konnte er kaum noch schlafen, schaffte es dafür aber gleich im ersten Anlauf mit nur drei Fehlern. Nun hatte er den ersehnten Schein und konnte völlig legal und gesetzlich dem ganz großen Fisch in die Augen schauen.
    Mit dem Schein bewaffnet nahm er all seine Ruten, dazu die tollsten, vom Gesetz zugelassenen Köder, und ging an den See. Na passt bloß auf, Fische!, witzelten wir. Fünf Stunden verbrachte mein Freund am Wasser. Nichts. Am nächsten Tag ging er noch vor Sonnenaufgang ans Ufer. Wieder vergeblich. Der Fisch ließ sich nicht fangen. Vergeblich zeigte ihm mein Freund seinen gerade ausgestellten Schein. Entweder hatte der Fisch keinen Respekt vor seinen neuerworbenen Angelkenntnissen, oder er war unter dem Einfluss der niedrigen Wassertemperaturen schläfrig geworden. Auf jeden Fall schwieg er. Das aber so laut, dass man ihn an jedem Ort des Sees hören konnte.
    »Bald wird Schnee fallen. Der See wird unter einer Eiskruste verschwinden, es wird dunkel hier unten, dunkel und kalt«, schwieg der Fisch laut vor sich hin. »Ach, ich habe immer solche Angst, aus dem Winterschlaf einmal nicht mehr aufzuwachen. Und hören Sie auf, mir Ihre Köder hinzuwerfen, ich will nicht sterben! Aber ich bin schon so alt, und wissen Sie, früher als kleiner Fisch und auch noch später schien es mir, als gäbe es nichts Wichtigeres auf der Welt als Futter. Ich schwamm hin und her, überall dorthin, wo es etwas zu essen gab. Ich war viel zu unaufmerksam, ich bemerkte die wundervolle Natur nicht, die uns umgibt. Schauen Sie sich nur um, dieses schwarze stehende Wasser, die Enten, die Wasserblumen, die Misteln an den Bäumen, die sich im Wasser spiegeln. Wie wunderschön und einmalig dieser Anblick doch ist. Er geht aber schnell vorbei und kommt nie wieder. Es ist Spätherbst, und ich habe jeden Tag so viel Freude.
    Wissen Sie, früher haben wir in einer furchtbaren Zeit gelebt, es gab so viele Angler, überall Netze. Ich bin selbst drei Mal das Opfer meiner Gutgläubigkeit, meiner Dummheit geworden, habe beinahe mein Leben verloren und wofür? Für einen Wurm! Aber natürlich muss ein Fisch genug Futter haben, um sich philosophische Gedanken über die Natur machen zu können. Ohne Futter ist das Leben eine Qual. Übermäßig viel Futter ist allerdings auch schlecht, es stört beim Schwimmen. Ich habe gehört, bei Ihnen werden Märchen über Zauberfische erzählt, Goldfische, die einem drei Wünsche erfüllen, als wäre der Fisch ein Zauberstab. Eine schöne Vorstellung. Aber wissen Sie, mir hätte schon ein einziger Wunsch gereicht. Ich hätte mir dann nämlich gewünscht, dass alles, was ich will, wahr wird. Aber eigentlich haben wir doch schon alles: Glaube, Liebe, Hoffnung, wir tragen all das bereits in uns.«
    So schwieg ein alter Fisch im Glücklitzer See vor sich hin und bereitete sich auf einen langen Winterschlaf vor.

Diesseits von Eden
    Langsam gewöhnten wir uns aneinander, wir und das Dorf. Die Natur Brandenburgs nahm uns gleichgültig auf, mit unseren Grillabenden, unserer Musik, unseren Gästen und unseren mitgebrachten Pflanzen, die sich trotz ihrer Fremdheit auf dem neuen Grundstück wie zu Hause fühlten. Besonders gut hatte sich der Meerrettich hier integriert. Im Frühling reckte er seine großen Blätter als Erster gen Himmel und verdrängte jede Spontanvegetation in seiner Nähe. Auf der Suche nach einem neuen Nutzungskonzept für den Garten kam ich auf die Idee, die Meerrettich-Plantage zu vergrößern und eine handgemachte

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