Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition)
Augen habe.
Worüber die Fische schweigen
Die Stille am See kann einen Stadtbewohner verrückt machen. Die Stimme einer Großstadt ist zwar laut, aber inhaltslos. Tausende, Millionen Geräusche vermischen sich zu einer brausenden Brühe. Es ist unverständlich, was die Stadt dir damit sagen will. Die Stille ist niemals leer. Man braucht ihr nur ein paar Minuten zuzuhören, schon fängt man an, mit Bäumen zu reden, das Gras am Ufer will seine Geschichten erzählen, und man hört, wie tief unter Wasser die Fische lachen.
Im Herbst kommunizierten die kleinen brandenburgischen Fische auch an der Oberfläche mit uns. Sie sprangen aus dem Wasser, drehten ihre Schwänze in der Luft und zeigten sehr eindrucksvoll, dass sie keine Angst vor unseren Angeln hatten. Sie wussten, dass wir keine richtigen Fischer waren. Mir reicht es schon, ein paar Stunden mit der Rute am Ufer zu sitzen, den Sonnenaufgang zu bewundern und den Fischen zuzuhören. Was sie sich wohl unter Wasser erzählten? In meiner Phantasie redeten die Fische über uns und waren neidisch, dass wir Menschen dank einer Laune der Natur im Trockenen sitzen durften, während sie ihr Leben unter Wasser verbringen mussten. Meinem Freund Alexander reichte so eine Möchtegern-Anglerei aber nicht. Er wollte tatsächlich herausfinden, was die Fische redeten. Vor allem, was sie uns verschwiegen und was die geheimnisvollen Lacher bedeuteten, die ab und zu als Luftblasen aus der Tiefe nach oben stiegen.
Worüber lachen Fische? In Deutschland führt der Weg zu jeder Erkenntnis über eine Behörde. Nicht jeder darf sich hierzulande mit großen Fischen unterhalten. Man muss eine Qualifikation dafür besitzen und sich von der Prüfungsstelle des Verbandes Deutscher Sportfischer prüfen lassen. Nur dann bekommt man eine Erlaubnis, Raubfische in Berlin und Brandenburg zu angeln. Von vegetarischen Fischen wollte mein Freund nichts mehr wissen.
Zuerst dachten wir, der Fischerverband sei eine typische Papierbehörde, die einem gleich nach Bezahlung der Gebühr die notwendige Erlaubnis ausstellte, doch die Fischfunktionäre meinten es ernst mit meinem Freund. Zwei Wochenenden dauerte der Kurs, vierzig Stunden Unterricht mit einer abschließenden Prüfung, die Hunderte von Fragen beinhaltete. Als Mensch mit Charakter wich mein Freund, einmal zu etwas entschlossen, nicht mehr vom Ziel ab. Schwierigkeiten reizten ihn sogar. Je komplizierter die Sache schien, umso weniger dachte er über einen Rückzieher nach. Zunächst einmal wurde er gar nicht in den Kurs aufgenommen – aus Platzmangel. Der Kurs war seit Monaten ausgebucht. Aus Sicherheitsgründen durfte die Gruppe der studierenden Raubfischer nicht größer als achtzig Personen sein, und es gab viel mehr Kandidaten als Plätze im Saal. Auch der übernächste Wochenendkurs war bereits komplett belegt. Wer hätte gedacht, dass die Sportfischerei in Berlin und Brandenburg einen solchen Zulauf hat, wunderte sich mein Freund und schrieb sich für die überübernächste Gruppe ein. Auch sie war schon beinahe voll.
Nach dem ersten Unterricht erzählte er, dass bei dem Kurs viele Russen, unsere Landsleute, mitmachten. Junge und Alte waren dabei, sogar Frauen. Eigentlich ist Fischerei Männersache, und auffälligerweise waren alle Frauen im Angelunterricht Russinnen. Entweder wollten sie ihre Männer nicht allein zum Angeln lassen, oder sie hatten selbst eine Leidenschaft fürs Fische fangen entwickelt. Besonders eine – jung und blond – gab im Unterricht ständig mit ihren Fangerfolgen an, erzählte, wo sie in der ehemaligen Sowjetunion schon überall gefischt hätte, und zeigte, mit einer für Frauen äußerst unpassenden Geste, wie groß ihre Beute ausgefallen wäre.
Mein Freund lernte gleich in der ersten Unterrichtsstunde die anderen Russen kennen. Sie waren allesamt schon in ihrer Heimat leidenschaftliche Angler gewesen und hatten sich nicht vorstellen können, dass man irgendwo auf der Welt einen Erlaubnisschein brauchte, um angeln zu gehen. In Deutschland hatten sie deswegen versucht, einfach ohne Schein zu angeln, und prompt Probleme mit der Polizei bekommen. Jetzt mussten sie die Prüfung ablegen, um weiter angeln zu dürfen.
Die Prüfungsfragen erwiesen sich als teuflisch kompliziert. Vor allem das ganze Fischvokabular, das im Alltag so gut wie nie benutzt wurde, machte meinem Freund zu schaffen. »Wie unterscheidet sich die Schwanzflosse von der Brustflosse?«, »Welche Funktion haben die Schleimdrüsen, und was ist ein
Weitere Kostenlose Bücher