Digitale Demenz: Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen (German Edition)
jedes Wort genau zwei Sekunden lang. Nach einer kurzen Pause folgt das nächste Wort. Die Versuchspersonen werden zuvor nach dem Zufallsprinzip in drei Gruppen aufgeteilt. Gruppe I soll jeweils entscheiden, ob die Wörter in Klein- oder Großbuchstaben geschrieben sind, Gruppe II soll angeben, ob es sich bei den Wörtern um Substantive oder Verben handelt, und Gruppe III soll sagen, ob die Wörter etwas Belebtes oder etwas Unbelebtes bezeichnen.
Die Gruppen unterscheiden sich also nicht darin, was sie sehen und wie lange sie etwas sehen. Der einzige Unterschied besteht vielmehr darin, wie die Versuchspersonen die jeweiligen Wörter verarbeiten. Zum Abschluss des Experiments fragt man dann nach ein paar Tagen die Probanden, an welche Wörter sie sich erinnern können. Es zeigte sich, dass die Gedächtnisleistung davon abhing, was man zuvor mit den Wörtern »im Kopf« gemacht hatte. Je intensiver man über sie nachdenken musste – kaum bei »Groß- oder Kleinschreibung?«, ein bisschen bei »Substantiv oder Verb?« und so richtig bei »belebt oder unbelebt?« –, desto mehr blieb hängen. [46]
3.1 Schematische Darstellung des Einflusses der Verarbeitungstiefe auf die Behaltensleistung in einem Gedächtnistest. Je tiefer die Verarbeitung, desto mehr bleibt im Gedächtnis.
Warum ist das so? Wir haben bereits gesehen, dass Informationen im Gehirn verarbeitet werden, indem sie als elektrische Signale über Synapsen von Neuron zu Neuron geleitet werden. Hierdurch verändern die Synapsen ihre Stärke, und dieses Wachstum ist letztlich darauf zurückzuführen, was man gemeinhin Lernen nennt. Nun wird nicht alles im Gehirn überall erledigt; es gibt vielmehr Zentren für das Sehen, Hören, Tasten, Sprechen, Planen und vieles mehr. Genau genommen, beruht sogar jede einzelne dieser Funktionen auf dem Zusammenspiel von wenigen bis zu mehreren Dutzend solcher Zentren. Beim Sehen beispielsweise sind mehrere Dutzend Zentren aktiv, nicht etwa nur das »Sehzentrum«. Zwei Zentren sind zuständig für das Farbempfinden, eines für die Bewegungswahrnehmung, ein anderes für das Betrachten von Gesichtern und wieder ein anderes für das Lesen von Buchstaben.
3.2 Das visuelle System des Menschen setzt sich – ähnlich wie beim Affen – aus mehreren Dutzend Zentren zusammen. [47] Jedes Rechteck bezeichnet ein spezialisiertes Zentrum, jeder Strich eine bekannte Verbindung. Ganz unten in diesem Schaltplan des Sehens befindet sich die Netzhaut, auf der das Licht in elektrische Impulse verwandelt wird. Von dort geht es über eine Zwischenstation (Lateral Geniculate Nucleus; LGN) in die Gehirnrinde, wo die Informationen praktisch grundsätzlich in beide Richtungen fließen, im Schaltplan also nicht nur von unten nach oben (von einfachen Zentren für Ecken und Kanten zu höheren Zentren für Gesichter oder Sachen), sondern auch zurück. Die in der unteren Hälfte des Bildes gelegenen Zentren lassen sich mittlerweile beim einzelnen Menschen genau orten und sogar in Quadratmillimetern vermessen.
Nun wissen wir seit längerer Zeit, dass diese Zentren einerseits durch entsprechende äußere Reize aktiviert werden, also beispielsweise die Farbzentren durch das Sehen von Farben und das Bewegungszentrum durch das Sehen von Bewegungen. Bekannt ist zudem, dass es auch von unserer Aufmerksamkeit abhängt, wie aktiv diese Zentren sind. [48] Achten wir bei einem Sachverhalt beispielsweise ganz genau auf die Farbe, dann aktivieren wir unsere Farbzentren und sehen deswegen die Farben präziser. Genauso ist das bei der Bewegung: Wenn wir auf Bewegungen achten, fallen sie uns besser und schneller auf. Und so ist es mit allem: Wenn wir auf etwas Bestimmtes achten – man spricht auch von selektiver Aufmerksamkeit –, werden die jeweils zuständigen Zentren aktiviert; sie funktionieren dann besser und liefern auch bessere Ergebnisse. Wenn wir beispielsweise bei der folgenden Abbildung auf das Gesicht achten, dann wird unser Gesichterzentrum aktiver, und wir sehen vor allem das Gesicht; achten wir hingegen auf das Haus, dann sind andere Zentren besonders aktiv, und wir sehen eher das Haus.
3.3 Gesicht oder Haus? Zwei überlagerte Bilder zur Darstellung der Auswirkung von selektiver Aufmerksamkeit
Es wundert nicht, dass eine solche besondere Aufmerksamkeit auf einen Sachverhalt dazu führt, dass man ihn optimal abspeichert. Intensivere Aktivierung bedeutet schließlich nicht nur stärkere Verarbeitung (mehr Impulse laufen über mehr
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