Digitale Demenz: Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen (German Edition)
entsprechende Situationen und Handlungszusammenhänge zu schaffen. [282] Dies kann nur funktionieren, wenn die Kinder Spaß an etwas haben. Weil das Singen eines Liedes Spaß macht, höre ich nicht nach zwei Tönen auf, selbst wenn mich etwas ablenkt. Und so lerne ich, eine Aktivität kontrolliert zu Ende zu führen. Dies gilt nicht nur für jede Form der Musik, sondern auch für alle anderen wichtigen Aktivitäten zur Ausbildung des Willens, wie Sport, Theater und handwerkliches Schaffen. Wenn ich zeichne oder male, dann habe ich am Ende ein Resultat, das ich stolz anderen zeigen kann, wenn ich konzentriert drangeblieben bin. So lernt man Dranbleiben!
Gesundheit, Glück und langes Leben
Im Jahr 1989 wurde ein Experiment in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift Science publiziert, das einfacher nicht hätte sein können: Ein Kind sitzt an einem Tisch, auf dem sich eine Süßigkeit und eine Glocke befinden. Der Versuchsleiter sagt zum Kind: »Ich verlasse jetzt den Raum. Wenn ich in ein paar Minuten wiederkomme, und du hast die Süßigkeit nicht aufgegessen, bekommst du zwei davon. Wenn du die Süßigkeit vorher isst, dann läute die Glocke. Ich komme dann gleich zurück, aber du bekommst keine zweite Süßigkeit.« Das Ganze war ein Test zur Selbstbeherrschung – der sogenannte Marshmallow-Test. Er prüft, ob die Kinder zum Belohnungsaufschub (englisch: delay of gratification ) fähig sind. Sie werden vor die Wahl gestellt, entweder einen Marshmallow sofort zu essen oder aber zu warten, bis sie einige Minuten später zwei der von ihnen so begehrten Süßigkeit essen können. Belohnt wird also das Warten, und das fällt gerade kleinen Kindern sehr schwer.
11.1 Ein ganz einfacher Versuch, der als Marshmallow-Test in die Psychologiegeschichte einging: Kann das Kind der Versuchung widerstehen?
Im Versuch kämpften die meisten Kinder mit sich selbst, um der Versuchung zu widerstehen; sie schafften das aber letztlich keine drei Minuten lang. Einige Kinder aßen den Marshmallow sofort auf. Nur etwa 30 Prozent der Kinder schoben ihren Genuss auf, bis der Versuchsleiter wieder auftauchte, was bis zu fünfzehn Minuten dauern konnte. Der kalifornische Psychologe Walter Mischel hatte dieses Experiment bereits Mitte der sechziger Jahre mit seinen Töchtern und deren Freunden und Freundinnen gemacht. Jahre später war ihm dann aufgefallen, dass diejenigen Kinder, die sich im Kindergartenalter besser hatten »beherrschen« können, in Schule, Studium und Beruf deutlich besser vorankamen als diejenigen, die sich, wie er Ende der achtziger Jahre schrieb, nicht »im Griff« hatten. [283]
Man kann die Fähigkeit zur Selbstbeherrschung aber auch ohne Süßigkeiten und Glocke erfassen. Dazu braucht man nur Eltern, Erzieherinnen oder Lehrer zu fragen. Genau dies geschah in der bereits erwähnten neuseeländischen Langzeitstudie zur Entwicklung von gut tausend Kindern sehr genau. Im dritten, fünften, siebten und elften Lebensjahr wurden unterschiedliche Fragebögen und Tests durchgeführt; sowohl die Eltern als auch die Lehrer wurden eingehend befragt – ab dem Alter von elf Jahren auch die Kinder selbst. Später wurden die Kinder in regelmäßigen Abständen weiter untersucht, bis ins Erwachsenenalter hinein. Hierbei zeigte sich, dass Gesundheit, Wohlstand und die sozialen Lebensumstände vom Ausmaß der Selbstkontrolle in der Kindheit abhängen. Wer sich schon als Kind gut im Griff hatte, war als Erwachsener gesünder (von besseren Zähnen bis zu seltenerem Auftreten von Diabetes), verdiente mehr und war deutlich weniger von sozialem Abstieg und Verarmung bedroht, neigte weniger zu Kriminalität und hatte vor allem deutlich weniger Suchtprobleme (Rauchen mit fünfzehn oder Drogensucht mit sechsundzwanzig Jahren). Auch die sogenannten »jugendlichen Dummheiten« (von Ladendiebstahl bis zu ungewollter Schwangerschaft) traten bei denjenigen, die sich als Kind schon besser im Griff hatten, deutlich weniger in Erscheinung.
Es ließe sich nun einwenden, dass die beschriebenen Auswirkungen gar nicht auf Selbstkontrolle zurückzuführen sind, sondern mit Intelligenz zu tun haben oder damit, dass die Kinder »aus gutem Hause« kommen: Intelligente Menschen haben sich besser im Griff, Kinder aus guten Verhältnissen ebenso. Insofern wurden in der Untersuchung der sozioökonomische Status und die Intelligenz eigens erfasst. Und es zeigte sich in der Tat, dass sie einen Einfluss auf die gemessenen Werte von Glück, Gesundheit,
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