Digitale Demenz: Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen (German Edition)
der alten Umgebung dem Suchtdruck nicht mehr widerstehen kann und rückfällig wird. Wie wir seit mehr als einem Jahrzehnt wissen, wird dieses Suchtzentrum nicht nur durch Suchtstoffe, sondern auch durch digitale Medien aktiviert, also beispielsweise durch ein Computerspiel. [323] Hierfür ist es von Bedeutung, dass subjektiv Belohnung empfunden wird, die jedoch nicht grundsätzlich immer erfolgen darf, wenn man irgendeine Handlung am Computer ausgeführt hat (z.B. einen Gegner virtuell abgeschossen hat); vielmehr muss auch der Zufall eine Rolle spielen. Seit den fünfziger Jahren ist bekannt, dass der süchtigmachende Effekt genau dann am größten ist. Aus diesem Grund enthalten alle erfolgreichen Computerspiele diese Zufallskomponente; sie sind also bewusst so programmiert, dass Suchtverhalten entsteht.
In der oben erwähnten KFN-Studie von Florian Rehbein und seinen Mitarbeitern findet sich die folgende Zusammenstellung von Merkmalen von Computerspielen, die ein besonders hohes Abhängigkeitspotenzial aufweisen:
eine Vergabe virtueller Belohnungen in Abhängigkeit von der im Spiel verbrachten Zeit,
eine Vergabe besonders seltener und für den Spieler besonders prestigeträchtiger virtueller Belohnungen unter Rückgriff auf Mechanismen intermittierender Verstärkung (insbesondere intermittierend variabel und quotiert),
Spielprinzipien, die dem Nutzer direkte Nachteile einbringen, sofern er nicht regelmäßig die Spielwelt aufsucht (persistente Spielwelt),
ein langwieriges Level-System, das so angelegt ist, dass die Weiterentwicklung des eigenen Spielcharakters bis zur letzten Erfahrungsstufe ein ausdauerndes und zeitintensives Spielen über einen Zeitraum von mehreren Monaten erfordert,
eine großflächige und komplexe Spielwelt, die so angelegt ist, dass die Erkundung und Nutzung der vorhandenen Spieloptionen ein ausdauerndes und zeitintensives Spielen über mehrere Monate erfordert,
komplexe Aufgabenstellungen, die nur innerhalb einer eingespielten und sich funktional ergänzenden Spielergemeinschaft gelöst werden können und daher einen starken Verpflichtungscharakter des sozialen Gefüges begünstigen, so dass die Präsenz in der Spielwelt nicht ohne größere innere (Verantwortungsgefühl gegenüber den Mitspielern, schlechtes Gewissen) oder äußere Widerstände (Mitspieler drohen mit Ausschluss aus der Gemeinschaft oder mit Kontaktabbruch) reduziert werden kann. [324]
Die suchterzeugende Wirkung des Internets beruht letztlich auch auf dem Phänomen der Unvorhersagbarkeit, denn sobald ich mit anderen Menschen über die gängigen Portale in Verbindung trete, kommen viele Zufälle ins Spiel: Mal finde ich, was ich suche (Google, Yahoo), mal nicht; mal ergattere ich das »Schnäppchen«, mal nicht (eBay); mal treffe ich jemanden oder finde gar einen virtuellen Freund, mal nicht (Facebook) etc. Es wundert nicht, dass gerade die sozialen Online-Medien einen starken Sog ausüben, so dass viele junge Menschen nahezu dauernd online sein müssen, letztlich aus Angst, sie könnten irgendetwas (oder irgendwen) verpassen.
Medienkonsum löst nicht nur Sucht nach Medien aus, sondern steigert bedingt durch die Verminderung der Selbstkontrolle generell Suchtverhalten – auch stoffgebundenes. Der Zusammenhang zwischen der Nutzung digitaler Medien und der Entwicklung eines Suchtverhaltens geht damit über das hinaus, was der Laie sowieso schon weiß – dass im Kindes- und Jugendalter bestimmte Verhaltensweisen (den Computer einschalten und stundenlang Zeit damit verbringen) eingeübt und damit gelernt werden. Bedingt durch den Verlust der Selbstkontrolle, ist er aber noch viel dramatischer, denn Selbstregulation ist ein entscheidender Schutzfaktor im Hinblick auf die Entwicklung von Suchtverhalten. Medienkonsum in der Kindheit mindert somit nicht nur die Chancen auf Bildung [325] und Erhalt der Gesundheit im Erwachsenenalter [326] , denn beides kann als Indiz für geringe Selbstkontrolle und somit als Risikofaktor für Suchtverhalten gewertet werden: Schulabbrecher kommen viel leichter »auf die schiefe Bahn« und beginnen eine Suchtkarriere, die sich in einem stoffgebundenen oder aber in einem nicht stoffgebundenen Suchtverhalten wie der Mediensucht äußern kann.
Fazit
Schlaflosigkeit, Depressionen und Sucht sind äußerst gefährliche Auswirkungen des Konsums digitaler Medien, deren Bedeutung für die gesamte gesundheitliche Entwicklung der jetzt noch jungen Generation kaum überschätzt
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