Digitale Demenz: Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen (German Edition)
werden kann. »Was macht es schon, wenn einer mal nicht schläft?«, werden viele denken, aber die Daten zeigen, dass chronischer Schlafentzug nicht nur chronisch müde macht, sondern auch dick und zuckerkrank.
Hinzu kommt, dass Übergewicht gerade in den letzten Jahren zunehmend mit Suchtverhalten in Verbindung gebracht wird, insbesondere im Lichte neuer Daten aus der Gehirnforschung. [327] Sozialer Rückzug und Ängste sind häufige Begleiterscheinungen; es entwickelt sich eine Abwärtsspirale, an deren Ende nicht nur Depression und soziale Isolation stehen, sondern auch vielerlei körperliche Erkrankungen, beispielsweise des Herz-Kreislauf-Systems, des Bewegungsapparats (Bewegungsmangel, falsches Sitzen) bis hin zur Demenz.
Gerade im Alter münden depressive Zustände mitunter in dementielle Abbauprozesse, weil der mit Depression einhergehende zusätzliche Stress und der (bei etwa 60 Prozent aller depressiven Patienten) erhöhte Blutspiegel von Stresshormonen das Gehirn schädigt. Stresshormone bewirken das direkte Absterben von Nervenzellen. Übergewicht und Diabetes verursachen langfristig Durchblutungsstörungen, die sich ebenfalls im Gehirn abspielen und ihrerseits zu einer Demenz führen können. Bereits in Kapitel 6 wurde dargestellt, dass ein messbarer Anteil des Übergewichts auf Bildschirmmedien zurückgeht. Damit ergeben sich gleich mehrere Mechanismen für die Begünstigung der Entwicklung einer Demenz durch digitale Medien, deren Auswirkungen sich mindestens addieren.
Gerade weil die digitalen Medien von Kindern und Jugendlichen konsumiert werden und diese Bevölkerungsgruppe prinzipiell zumindest noch ein sehr langes Leben vor sich hat, haben alle durch digitale Medien verursachten gesundheitlichen Schäden alle Zeit der Welt, langfristig auch in vielerlei Komplikationen zu münden. Vereinfacht ausgedrückt: Spielten nur Opa und Oma World of Warcraft, wäre das nicht weiter schlimm, denn sie würden die langfristigen gesundheitlichen Konsequenzen ihres Tuns ohnehin nicht mehr erleben. Da aber nicht Oma und Opa, sondern Enkel und Enkelin hierzulande täglich den größten Teil ihrer wachen Zeit mit Medien verbringen, muss man sich über die langfristig zu erwartenden geistigen und körperlichen Schäden Gedanken machen.
Mord ohne Motiv
Am Gericht Cottbus war ich Gutachter in einem Mordprozess. Weil ich insgesamt sehr beschäftigt bin, verteile ich Gerichtsgutachten an meine jüngeren Kollegen, bin also nur sehr selten selbst vor Gericht. In diesem Fall jedoch ging es um einen eigenartigen Sachverhalt: einen Mord völlig ohne Motiv. Der junge Angeklagte aus prekären sozialen Verhältnissen hatte mit seinem Freund den ganzen Tag ein (ab zwölf Jahre freigegebenes) Kampfspiel gespielt, in dessen Verlauf man vor allem miteinander ringt und sich schlägt und tritt, nicht zuletzt ins Gesicht. Und er hatte dabei gegen seinen Freund virtuell dauernd verloren. Am Abend trafen die beiden, man war nicht mehr ganz nüchtern, einen etwa fünfzigjährigen Mann, der seit vier Tagen obdachlos war, weil er die Miete nicht mehr hatte zahlen können. Sie luden ihn ein, in ihrer Wohnung zu übernachten. Auf dem Weg dorthin ging man eine Treppe hinunter, ein Schubser brachte den Mann ins Stolpern, er fiel hinab, und dann trat der Beschuldigte ihm ins Gesicht – und hörte nicht auf, bis das Opfer regungslos am Boden lag. Gleich danach rief der Täter seine Sozialarbeiterin an und berichtete ihr seine Tat, diese glaubte ihm jedoch nicht, so dass die Leiche erst am folgenden Morgen von einem Passanten aufgefunden wurde. Fotos der Leiche zeigten einen Menschen, dessen Gesicht man nicht mehr erkennen konnte.
Der Täter konnte sich selbst nicht erklären, wie es zu dieser Tat kam. Im Prozess wurde klar, dass dieser Mord nie geschehen wäre, hätte der junge Mann den Tag davor auf dem Fußballplatz, im Posaunenchor oder bei der Freiwilligen Feuerwehr verbracht. Seine Vergangenheit war durch fehlende soziale Beziehungen, Labilität und Entwurzlung, seine gegenwärtige Situation durch Frustration und Perspektivlosigkeit geprägt.
Wenn ein Pädagoge wirklich glaubt, dass stundenlanges Prügeln und Morden auf einen solchen jungen Menschen keinerlei Auswirkungen hat, spreche ich ihm jegliche pädagogische (griechisch pais: Kind, agein: führen, anleiten) Kompetenz ab! Wenn sich dieser Pädagoge dann auch noch darüber beklagt, dass Computerspielpreise überwiegend nach pädagogischen Kriterien vergeben werden, wird
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