Dihati Qo – Die, die sein werden (German Edition)
Illwar den dritten Wasserschlauch auf. »Lebe!«, gebot er der Leiche. Das Wasser, das er auf und um die Leiche vergossen hatte, bildete eine feinen Nebel, der nur so hoch schwebte, dass er den Körper des Soldaten einhüllte. Xarna war zu perplex, um weiter ihren Mordgedanken nachzuhängen. Sie senkte ihren Bogen und Unterkiefer gleichzeitig.
Illwar gab der Leiche mit dem Wasserschlauch erneut zu trinken. Der Kehlkopf bewegte sich. Der Soldat schluckte. Als der Schlauch leer war, warf Illwar in fort. Er war ein wenig außer Atem, aber dem gebieterischen Ton seiner Stimme, tat das keinen Abbruch. »Steh auf!«
Xarnas Hautfarbe konnte man nicht als besonders dunkel bezeichnen und im Moment war sie sogar leichenblass. Sie war sich nicht sicher, ob sie ihren Harndrang kontrollieren konnte, aber es war ihr auch nicht wichtig. Der Soldat öffnete die Augen. Der Mann bewegte sich. Die Leiche stand auf. »Ja, Gebieter«, drang es in Xarnas Bewusstsein, als der Mann mit Illwar sprach. Abermals ließ sie den Bogen in die Gasse plumpsen. Ihre Knie gaben nach und sie schwankte zwei Schritte zurück, bevor sie an der feuchten Hauswand dankbaren Halt fand. Sie konnte es nicht glauben. Das durfte einfach nicht sein. Nicht einmal der Fürst konnte das, oder?
Illwar kam auf sie zu und zeigte theatralisch mit der Hand auf den wandelnden Toten. »Darf ich Dir Sendrig vorstellen? Er kämpft ab jetzt auf unserer Seite.«
Xarna folgte seiner Hand und fixierte den Soldaten. Sie wusste nicht, ob er atmete, sie wusste nicht, ob er lebte , aber er stand vollkommen ruhig vor ihr. Ehrerbietig neigte er den Kopf. Xarna packte, einen neuen Halt suchend, Illwars Arm und durchdrang mit ihrem Blick seine stahlblauen Augen. Ihre Mundwinkel zögerten, doch dann zogen sich von einem Ohr zum anderen. Sie lächelte breit und jauchzte. Das war er – ihr Hexenmeister!
Eine Elster flog über die drei hinweg. Der warnende Ruf der Eule verhallte ungehört.
17
Zwei Patrouillen mit je zwanzig Mann verließen den Hof der Veste. Axarel hatte ihnen befohlen das Umland von Kargendein genau zu prüfen, um dann den Soldaten in der Stadt zu Hilfe zu kommen. ’te Kall beobachtete ihren Abzug. Das grüne Glas der Fenster hatte Schlieren und brach die Gestalten der wegreitenden Männer. ’te Kall hatte die ganze Zeit das Gefühl, durch solche Schlieren zu blicken. Die Wahrheit verschwommen, die Gefahr nicht im Blick. Alles in allem, hatten seine Instinkte recht behalten. Es gab einen Aufstand, es gab Abtrünnige. Ludewig hatte sie aufgespürt. Wiederum eine gute Wahl von Axarel. Sie hatte ihrem alten Gebieter zwar nicht geglaubt, trotzdem führte sie seine Anweisungen vorbildlich aus. Jetzt mussten nur noch die Rädelsführer gefunden werden. Wer gab ihnen so viel Zuversicht, dass sie es wagten, sich gegen ihn, ’te Kall, aufzulehnen?
»Meister!« Eine atemlose Stimme sprengte, ohne anzuklopfen, in den Raum. Wenn das nicht schon Zeichen für Unheil genug waren, so wusste der alte Mann, dass Axarel ihn nur Meister nannte, wenn die Dinge schlecht standen. Er drehte sich sofort zu ihr um und entschuldigte schweigend ihr ungestümes Eindringen.
»Meister, Ihr müsst eingreifen. Ihr müsst nach Kargendein!«
»Kind, beruhige Dich!« ’te Kalls väterlicher Ton hatte fast immer eine besänftigende Wirkung, aber diesmal konnte Axarel ihre Fassung nicht wiedererlangen. »Ihr habt doch Ludewig geschickt. Meine Anwesenheit ist in Kargendein nicht vonnöten. Wir wollen doch aus einem Regentropfen keine Sintflut machen.«
»Dann schickt mich!« Es war ihr Ernst. Ihre Augen flehten ihn an, doch dies sehr kompromisslos.
»Was um alles in der Welt beunruhigt Dich so? Hast Du die Rädelsführer gefunden?«
»Sie … sie haben …« Axarel musste einmal tief durchatmen. Sie schloss die Augen, zählte bis fünf und setzte neu an. »Ein Hexer, Meister! Ein Hexer ist in der Stadt. Er praktiziert verderbte Magie.«
» Verderbte Magie ?« ’te Kalls Augen rissen sich auf und er wurde ungewollt laut. Das Erstaunen war in sein Gesicht gemeißelt.
»Ein Totenbeschwörer!«
»Ein Totenbe… « ’te Kall brach ab. Er hielt die Luft an. Damit hatte er ganz bestimmt nicht gerechnet. Wo hatten sie einen Totenbeschwörer versteckt? Wie ausgebildet, ohne dass er davon erfuhr? Diese Art der Magie war höchst gefährlich, aus gutem Grund vom Rat der Zwölf geächtet. Nicht einmal sein alter Widersacher Tang Ok, mit dem zusammen er den Rat gestürzt hatte, war dumm genug gewesen,
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