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Diktator

Diktator

Titel: Diktator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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überlassen; im September 1940 war das Reich nicht bereit gewesen, Krieg gegen Amerika zu führen, und der Vorstoß der Panzer war zum Stehen gekommen.
    Es gab keinen Waffenstillstand, und vielleicht war auch gar keiner möglich. England und Deutschland bombardierten gegenseitig ihre Großstädte, ein planloser Feldzug des Elends – obwohl kluge Köpfe behaupteten, ohne die Präsenz deutscher Truppen auf englischem Boden und ohne britische Bürger unter deutscher Besatzung wäre der »Blitz« schlimmer gewesen. Auf See stellten U-Boot-Rudel die Nachschub-Konvois, die den Atlantik überquerten, und die Royal Navy störte die viel kürzeren Nachschublinien vom Kontinent nach Albion. Auf dem Kontinent wurde der Krieg per Stellvertreter an diversen Schauplätzen geführt. In Südeuropa hatte Großbritannien sich Hitlers Angriff auf Jugoslawien und Griechenland entgegengestellt, hatte die Italiener in Ägypten geschlagen und Hitler damit gezwungen, das Afrika-Korps unter Rommel einzusetzen. Auf dem britischen Festland selbst hatte es jedoch, nachdem der anfängliche deutsche Vormarsch gestoppt worden war, nur noch wenige Kampfhandlungen gegeben.
    Daher war die Lage nun bereits seit neun Monaten stabil, und die »Winston-Linie« hatte sich verfestigt. London, nördlich der Linie, lag zwar in dem von der Halifax-Regierung gehaltenen Gebiet, war jedoch eine
Stadt, die ständig in unmittelbarer Gefahr schwebte. Die Regierung selbst hatte sich nach York zurückgezogen. Ernst hatte einmal eine Wochenschau mit nächtlichen Luftaufnahmen von der Linie gesehen. In einem in Verdunkelungsfinsternis gestürzten Land war das Erste Ziel wie eine doppelte Wunde; parallele Linien aus Licht zogen sich durch die passive Landschaft, erstreckten sich von einer Küste zur anderen. Es war eine echte Scheidelinie, die Grafschaften in zwei Teile zerschnitt, Städte von ihren Vororten trennte und Familien auseinanderriss, oftmals völlig willkürlich.
    Und dennoch klammerte sich Ernst, von Natur aus Optimist, an die Linie als Symbol der Hoffnung. Sie war der einzige Ort, wo Briten und Deutsche, zwei Völker, die miteinander im Krieg lagen, es fertigbrachten, friedlich zusammenzuarbeiten und Lösungen zu finden, die den Schutzlosesten zugute kamen. Vielleicht waren solche Impulse ein besseres Fundament für die Zukunft als Krieg, Besatzung und Eroberung.
    Der Konvoi löste sich auf. Die Fahrzeuge fuhren von der Straße auf befestigte Abstellflächen aus Beton, und die Passagiere sprangen heraus. Man hatte hier eine Brücke über die Gräben geschlagen und einen Durchgang ins Erste Ziel geschnitten. Beiderseits des Durchgangs standen Zivilisten Schlange und warteten auf die Abfertigung, Männer, Frauen und Kinder mit Taschen und Fahrrädern, Kinderwagen und Haustieren. Nachdem der Schock der Invasion abgeklungen war, hatte eine massenhafte Heimkehr aus den englischen Gebieten ins deutsche Albion eingesetzt: Flüchtlinge,
die zu ihren Häusern, ihrem Lebensunterhalt und ihren Familien zurückwollten.
    Angesichts all der Soldaten um sie herum war Viv unruhig und in zunehmendem Maße nervös. Als Mädchen vom Lande hatte sie kaum etwas davon mitbekommen, was für drastische Veränderungen das militärische Leben in den Städten mit sich gebracht hatte.
    Josef stieg aus dem Wagen und nahm eine schmale Aktentasche aus dem Kofferraum. Er deutete durch den Zaun. »Siehst du das Sternenbanner da drüben? Das sind die Amerikaner. Shalford Base.«
    »Ich habe mich bis hierher durchgekämpft«, sagte Ernst. »Hier ist unser Vormarsch gestoppt worden. Genau an dieser Stelle.«
    »Ich weiß. Nur wenige sind weitergekommen. Deshalb habe ich dich hierhergebracht. Schau, auch die Schweizer Fahne flattert über diesem Lager.«
    »Was hat denn die Schweiz damit zu tun?«
    »Sie ist die Schutzmacht der Kriegsgefangenen.« Er klopfte Ernst auf die Schulter. »Ich werde wahrscheinlich nur ein paar Stunden brauchen. Sieh dich um. Genieß das Picknick mit deiner kleinen Freundin. Dabei fällt mir ein …« Er grub in seiner Jacke. »Ein Brief für dich. Du solltest ihn vielleicht vor deinem Schätzchen da drüben geheim halten.«
    »Von wem ist er?«
    Josef grinste. »Von deiner anderen Liebsten. Claudine, hieß sie nicht so? Gute Nachrichten. Sie kommt nach England!«

    »Du hast ihn gelesen ?«
    »Zensur, mein Junge. Militärische Vorschrift. Also, benimm dich.« Er nickte Viv zu und ging zum Durchgang.
    Auf einmal dröhnten Flugzeuge in geringer Höhe über sie

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