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Diktator

Diktator

Titel: Diktator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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Armee-Konvoi war eine Fahrzeugschlange; zwei leichte Panzerwagen bildeten Spitze und Ende einer Kolonne aus einem Dutzend Befehlsfahrzeugen. Man fuhr stets im Konvoi. Neun Monate nach Operation Seelöwe waren die aus den Reserveeinheiten der Home Guard hervorgegangenen Widerstandsgruppen – die »Hilfstruppen«, wie die Engländer sie nannten – immer noch imstande, Schaden anzurichten.
    Josef saß im ersten Wagen hinter dem Panzerfahrzeug. Es war typisch für ihn, dass er selbst fuhr. »Hallo, Bruderherz!«
    Ernst kam mit Viv am Arm näher. Sie hatte einen kleinen Picknickkorb dabei und trug die große Sonnenbrille ihrer Mutter, ihre besten Schuhe und ein grünes Kreppkleid. Ernst wusste, welche Mühe es sie und ihre Mutter kostete zu verhindern, dass der dünne Stoff zerriss. Die Sonne stand hinter Viv und ließ ihre hellroten Haare aufleuchten. Als sie an dem Konvoi entlanggingen, wurde sie mit anerkennenden Pfiffen und ein paar Obszönitäten begrüßt – Wörter, die Ernst
ihr in ihrem gelegentlichen Sprachunterricht nicht beigebracht hatte. Obwohl sie das Lächeln erwiderte, spürte er, wie fest sie sich an seinen Arm klammerte.
    Josef stieg aus dem Wagen, nahm ihre Hand und hauchte einen Kuss darauf. »Ich bin entzückt, Fräulein.« Ernst sah, wie Vivs Augen groß wurden. Josefs SS-Uniform, schwarz und silbern im hellen Licht des Sommertages, sah unglaublich glamourös aus. Er zwinkerte Ernst zu. Dann half er Vivien auf den Rücksitz seines Wagens, während Ernst vorne Platz nahm. Mit aufheulenden Motoren setzte sich der Konvoi in Bewegung.
    Von dem Bauernhof drei Kilometer nördlich von Battle bog der Konvoi bald auf die Hauptstraße ein, die in nördlicher Richtung nach Tunbridge Wells führte, und durchquerte in stetigem Tempo das grüne Herz von Sussex. Sie kamen rasch voran in einem Landstrich, der die vorrückenden Armeen im vergangenen September auf eine solch zermürbende Probe gestellt hatte. Jetzt waren nur noch die Bauern da, die ihr Land bearbeiteten, und in diesem Tempo würde der Konvoi nicht mehr als ein paar Stunden brauchen, um zu der Linie vor Guildford zu gelangen. Aber die Spuren des Krieges waren unübersehbar. Sie kamen an Feldern vorbei, die von Bombenkratern zernarbt und von Trümmerhaufen  – vielleicht ehemalige Flugzeuge – verschandelt waren, und am Straßenrand türmten sich zerstörte Fahrzeuge. Sie lagen immer noch dort, wo sie in jenen lange zurückliegenden Septembertagen hingeschoben worden waren, verrostet nach dem Winterregen.

    Josef warf Viv im Rückspiegel einen Blick zu. »Sieh an, sieh an«, sagte er. »Schön für dich, dass in der Kaserne kein Platz ist. Du hast es mit deinem Quartier gut getroffen, du Schuft.«
    »So ist das nicht.« Ernst errötete. »Sie ist erst fünfzehn.«
    Josef zuckte die Achseln. »Ach, weißt du, in manchen Küstenstädten, wie zum Beispiel in Hastings und Rye, findest du keine Jungfrau über zwölf, ganz egal, wie viel du bezahlst. In Frankreich war’s genauso. Sieh mal, in diesem elenden Land wird’s bald keine jungen Männer mehr geben. Diejenigen, die nicht in Kriegsgefangenschaft geraten sind, werden zum Arbeitsdienst abtransportiert werden. England ist ein Land alter Menschen, Kinder und Frauen – und wir sind die einzigen Männer. Es ist ganz natürlich, dass sie, eine aufblühende Schönheit, an dir interessiert ist.«
    »Ich hab’s dir doch gesagt«, fuhr ihn Ernst hitzig an, »so ist das nicht.«
    Josef lachte nur. »Also, wenn du nicht die Tochter vögelst, wie steht’s mit der Mutter?«
    »Die ist schwanger.«
    »Wirklich?«
    »Fast schon im neunten Monat. Sie muss ungefähr zur Zeit der Invasion geschwängert worden sein.«
    Josef warf ihm einen Seitenblick zu. »Komischer Zufall.«
    Ein alter englischer Wagen kam ihnen entgegen. Er fuhr stur links, unter Missachtung der Besatzungsvorschriften.
Natürlich wich die deutsche Kolonne nicht aus. Im letzten Moment schwenkte der englische Wagen beiseite, und Ernst erhaschte einen Blick von einem schockierten Gesicht hinter einem strengen Schnäuzer, bevor der Wagen im Graben landete. Die deutschen Soldaten jubelten spöttisch und bedachten den verunglückten Wagen mit Winston Churchills Victory-Siegeszeichen.
    Viv lachte reizend. »Das war Spitze!«
    »Diese Engländer sind nicht wie die Franzosen«, beschied Ernst. »Ein aufsässiges Volk.«
    »Na ja, ihre letzten Erfahrungen mit einer Okkupation liegen tausend Jahre zurück. Das ist alles neu für

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