Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin
eines Projekts zu erkennen. Zunehmendes Aufschiebeverhalten kann aber ein Anzeichen dafür sein, dass man ein Ziel aufgeben oder ein Projekt beenden sollte, weil sie einen nicht weiterbringen, sondern behindern – eine Schutzmaßnahme des Unterbewusstseins.
Die Psychologin Veronika Brandstätter sieht bereits in der Entscheidung, ein Projekt zu beginnen, den Abschied von dessen objektiver Beurteilung; in diesem Moment komme ein Steuerungsmechanismus in Gang, der das ins Auge gefasste Ziel verkläre: «Das fängt damit an, dass man nach einer Entscheidung bestimmte Dinge ausblendet, nicht mehr wahrnimmt oder sich nicht mehr daran erinnert. Und dass man nur noch an jene Aspekte denkt, die uns der Realisierung des Ziels näherbringen.» . («Psychologie Heute», 09/2000) Für erfolgversprechende, glitzernde Projekte mag das Ausblenden von Zweifeln sinnvoll sein – vielleicht ist es sogar die Voraussetzung für den Erfolg. Aber für die meisten Projekte ist dieser Mechanismus eine Gefahr. Eric Klinger, amerikanischer Psychologieprofessor, hat erforscht, wie sich die Ablösung von Projektzielen vollzieht, und dabei drei Phasen unterschieden. Wenn man wiederholt Misserfolge erdulden muss, gibt man sich zunächst noch mehr Mühe und nimmt nur dieDinge wahr, die für das Ziel sprechen – Zweifel werden, wie beschrieben, einfach ausgeblendet. Folgen weitere Frustrationen, reagieren die Betroffenen aggressiv; Argumenten und Warnzeichen jedoch sind sie ebenso wenig zugänglich wie in der ersten Phase. Falls die Schwierigkeiten sich nicht verflüchtigen, tritt die dritte Phase ein: Die Betroffenen fallen in eine depressive Stimmung. Deren Kennzeichen ist ein allgemeiner Mangel an Interesse – auch am ursprünglichen Ziel. Abgesehen davon, dass uns Klinger damit nebenbei den Sinn von Postbeziehungs-Depressionen erklärt, kann man sich fragen, weshalb man seinen hormongesteuerten Launepegel immer erst in den Keller prügeln muss, bevor man einsieht, dass es so nicht weitergeht. Statt darauf zu warten, dass tagelange Weinkrämpfe im verdunkelten Schlafzimmer einem das unmissverständlich ins Ohr schreien, was die Vorahnung seit Monaten geflüstert hat, sollte man rechtzeitig aufgeben lernen.
Man kann ruhig davon ausgehen, dass Aufhören sehr viel früher objektiv sinnvoll ist, als es subjektiv scheint. Eine Studie des Instituts für Angewandte Betriebswirtschaftslehre und Unternehmensführung der Technischen Hochschule Karlsruhe untersuchte erfolglose Forschungs- und Entwicklungsprojekte in der deutschen Pharmaindustrie. Danach wurden fünfzig Prozent der Projekte nach Auskunft der Befragten zu spät oder viel zu spät abgebrochen. An dieser Stelle sollte man vielleicht zugeben, dass nur schwer herauszufinden ist, ob es auch zu früh abgebrochene Projekte gibt. Aber selbst wenn – die Schäden durch zu spätes Aufhören dürften weit schwerer wiegen als die Nobelpreise für eventuelle Zufallsentdeckungen, die einem so entgehen.
LOBOs neigen dazu, sich in einer Vielzahl von Vorsätzen, Verpflichtungen und vertrackten Versuchsanordnungen zu verheddern. Als Lösungsstrategie fällt ihnen allzu oft nurdas ein, was Paul Watzlawick in seinem Antiratgeber «Anleitung zum Unglücklichsein» mit «Mehr desselben» beschrieben hat: Ein Lösungsverfahren, das im schlimmsten Fall noch nie funktioniert hat, wird ohne Überprüfung auf alle zukünftigen Probleme angewandt. Das führt zu einem Bündel wirkungsloser Maßnahmen und schließlich zur Überzeugung, zwar alles versucht, aber nichts erreicht zu haben. Aufgeben hingegen ist eine Lösung, die zu selten als solche erkannt wird. Und das gilt nicht nur für den Beruf, sondern auch für den Privatbereich. Therapien, Beziehungen, Kurse, Vorsätze, Sport – es ist erstaunlich, was man alles mit Genugtuung aufgeben kann, wenn man erst einmal damit anfängt.
Definitiv aufhören sollte man bei körperlich bedenklichen Reaktionen auf eine Aufgabe. Spontane Krankheiten, Kopfschmerzanfälle, Atemnot, allgemeines Unwohlsein – die Symptome unterscheiden sich von Mensch zu Mensch. Gemeinsam ist ihnen, dass eine Arbeit, die die Seele bedroht, auch den Körper zu Abwehrreaktionen treiben kann. «Bedrohung durch Arbeit» mag drastisch klingen. Aber zwischen Karoshi, dem Tod durch Überarbeitung, und der von Timothy Ferriss propagierten Vier-Stunden-Arbeitswoche liegt eine große Grauzone, in der sich eine Aufgabe von der Belastung über die Zumutung bis zum Horror entwickeln kann.
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