Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin
reicht das Halbfertige fast immer völlig aus. Carl Clausewitz’ militärstrategisches Standardwerk «Vom Kriege» ist eine rohe Materialsammlung, die nach Clausewitz’ Tod von dessen Ehefrau herausgegeben wurde. Thomas von Aquins berühmte «Summa Theologiae» ist so unvollendet wie Schloss Neuschwanstein, Thomas Manns «Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull» und Bachs «Kunst der Fuge». Dem Erfolg aller Werke hat das nicht geschadet, weshalb auch dieses Kapitel einfach so mittendrin
Jedem Ende wohnt ein Zauber inne
Aufgeben – der schnelle Weg zum Sieg
«Sag alles ab!
Geh einfach weg
Halt die Maschine an und frag mich nach dem Zweck
Du musst nie wieder in die Schule gehen
Du wirst das Licht deines Lebens vor dir sehen
Du musst dich doch nicht bemühen, bemühen
Die Bäume werden doch auch von selber grün»
(Tocotronic)
Die Börsenwelt kennt die Regel, schlechtem Geld kein gutes hinterherzuwerfen. Abgesehen davon, dass Menschen ohne Börsen-Know-how das Werfen von Geld sowieso auf Brunnen beschränken sollten, steht hinter dieser Weisheit die Erkenntnis, dass Aufgeben zur rechten Zeit Kosten und Mühen spart, an der Börse wie im richtigen Leben. Dennoch lassen sich Unwissende von ihrem Trotz und ihrem Stolz, in ungünstigem Mischungsverhältnis mit Selbstdisziplin, dazu verleiten, einen Weg weiterzugehen, der offensichtlich in die Irre führt. Dieses Verhalten gleicht dem Versuch, schneller zu laufen, weil man die falsche Abzweigung genommen hat. Wirtschaftsanalytiker sprechen dabei vor allem im Investitionskontext von einer «Eskalation des Engagements».
«Was ich angefangen habe, das bringe ich auch zu Ende.» Dieser Satz aus dem Standardrepertoire von Persönlichkeitstests ist ein Bekenntnis, das den scheinbar erfolgreichen, durchsetzungsstarken und zuverlässigen Lebensteilnehmer auszeichnet. Wenn man den Satz in seiner dummen Absolutheit etwas variiert, wirkt er bedeutend weniger beeindruckend:«Auch völlig bescheuerte, energieraubende und ertraglose Projekte, die ich angefangen habe, bringe ich zu Ende.» Befeuert von der Selbstdisziplin, trainiert man sich ein Durchhaltevermögen an, das einem vor allem hilft, alle Warnzeichen für falsche Tätigkeiten zu ignorieren oder gar nicht erst zu bemerken. Es bildet sich schließlich eine unangenehme Hornhaut im Kopf – genau über dem Teil des Hirns, der uns auf den richtigen Weg lenken oder zumindest vom völlig falschen Weg abbringen sollte. Regelmäßige Stockhiebe auf die Schienbeine werden nicht gesünder, nur weil man sie nach ein paar Monaten weniger spürt.
Woher aber kommt diese Unfähigkeit aufzugeben? Schon im Kindesalter wird uns beigebracht, bloß nicht zu früh «die Flinte ins Korn» zu werfen, sondern hartnäckig zu bleiben und einmal begonnene Projekte weiterzuverfolgen, selbst wenn es mühsam und unerträglich zäh werden sollte: Hier lauert im Hintergrund die Selbstdisziplin und lacht höhnisch ihr schwefeliges Lachen aus der Erziehungshölle. Durchhaltevermögen wird in der Schule als wichtiges Erfolgskriterium gepriesen. Dabei kommt die Entwicklung der Fähigkeit, rechtzeitig aufzuhören, viel zu kurz. Erst in der Oberstufe des Gymnasiums passt sich die Schule ein wenig dem tatsächlichen Leben an, und man kann Französisch abwählen.
Auch nach der Schule hält die Gesellschaft eisern an denselben Werten fest: Viele Stipendien werden nur an Studenten in ihrem ersten Studienfach vergeben. Mit den BAfö G-Zuwendungen kann es ebenfalls kompliziert werden, wenn man nach drei Semestern feststellt, dass man Fächer mit -zistik am Ende nicht ertragen kann und erst einmal in Ruhe überlegen oder andere Fächer ausprobieren will. Mit einem Lebenslauf, in dem drei von fünf Jobs nach vier Wochen wieder enden, muss man sich beim nächsten Vorstellungsgespräch schon verdammt gute Erklärungen einfallen lassen.«Mein neuer Job ist die Hölle, aber wie sieht denn das aus, wenn ich nach zwei Monaten wieder aufhöre?» Eine gute Frage, hier die Antwort: Es sieht für jeden fühlenden Menschen richtig aus. Leider hat sich das unter Personalchefs noch nicht allzu weit herumgesprochen. Auf diese Weise macht uns die Konstruktion der Arbeitswelt das Aufgeben immer schwerer, bis diese Möglichkeit ganz aus dem Blick gerät. Aber die Umwelt ist an der Unterdrückung der Alternative «Aufhören» nicht alleine schuld. Auch unsere eigene Psyche trickst herum und scheut sich davor, den richtigen Zeitpunkt für die Beendigung eines Jobs oder
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