Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin
simples Beispiel ist, Deadlines auf die Sekunde genau zu benennen – die dann abzugebende Arbeit aber so weit wie möglich im Ungefähren zu lassen: «Ich schicke Ihnen nächsten Mittwoch Punkt 12 Uhr mittags ein entsprechendes Papier!» Ein «Papier» herzustellenist meist auch unter erschwerten Bedingungen wie gutes, schlechtes oder so mittleres Wetter machbar – anders als etwa ein «dreißigseitiges Feinkonzept». Sollte man etwa aus Langeweile doch viel Zeit haben, kann man seine Projektpartner gut mit einem umfangreichen Papier überraschen. Aber Vorsicht, allzu leicht sind die Erwartungen an das nächste «Papier» dramatisch erhöht. In diesem Fall ändert man den entsprechenden Begriff und verspricht fortan eine «Skizze» – die allerdings um exakt 15.45 Uhr am Dienstag.
Es ist auch aus wissenschaftlicher Sicht für viele Aufgaben von Vorteil, wenn man in der Lage ist, fünfe grade sein zu lassen. Die kanadischen Psychologen Gordon Flett und Kollegen unterscheiden drei Perfektionismustypen: Nach innen orientierte Perfektionisten erwarten Perfektion von sich selbst, nach außen orientierte Perfektionisten verlangen Perfektion von anderen Menschen, und an der Gesellschaft orientierte Perfektionisten glauben, andere erwarteten perfekte Leistungen von ihnen. Der auf sich selbst bezogene Perfektionismus gilt als günstig, die zweite Art ist nur ein bisschen lästig, aber bei den Anhängern des Gesellschafts-Perfektionismus zeigt sich ein erhöhter Hang zu Depressionen, Essstörungen und anderen Problemen bis hin zum Selbstmord. Flett verwendet dabei den schönen Begriff der «irrationalen Überbewertung von Aufgaben». Ebenfalls Flett und Kollegen verdanken wir die Erforschung des «Perfektionismus-Paradox» im Sport: Ein Hang zum Perfektionismus schmälert bei Sportlern anscheinend die Leistung, anstatt sie zu steigern. Auch hier sind besonders diejenigen Sportler betroffen, die sich stark mit ihrer Wirkung auf andere und den Erwartungen ihrer Umwelt beschäftigen.
Es lohnt sich also, vermeintliche Erwartungen der Umwelt in Perfektionismusfragen entspannt zu ignorieren. Ob man hohe Erwartungen an sich selbst kultivieren will, ist eineFrage der individuellen Vorlieben. In jedem Fall jedoch sollte man die Latte nicht übermenschlich hoch hängen – es sei denn, man ist Limbotänzer. Denn die perfekte Perfektion gibt es nicht, wie ein Cartoon über die «WTF pro Minute»-Regel zur Unterscheidung von guter und schlechter Software illustriert. Das Bild zeigt zwei Türen. Hinter der einen wird gute Software untersucht und dabei nur hin und wieder «What the fuck!» gerufen. Hinter der anderen Tür wird ohne Unterlass geflucht. Der wahre Kern dieser Beobachtung: Auch das Gute ist immer noch ganz schön schlecht. Ein klassisches Beispiel aus der Softwarebranche ist Donald Knuths Textsatzprogramm Te X. Lexikoneinträge zum Thema «Perfektionismus» sind mit dem Gesicht von Donald Knuth illustriert oder sollten es zumindest sein. Den letzten Fehler in TeX hat Knuth nach eigenen Angaben am 27. November 1985 entfernt. Für alle weiteren Fehler schrieb er einen Finderlohn aus, der zuletzt Mitte der neunziger Jahre ausgezahlt wurde. TeX gilt als sensationell ausgereiftes Programm, konnte sich aber gleichzeitig wegen seiner sperrigen, wenig benutzerfreundlichen Art nie durchsetzen und ist heute sogar in seinem Haupteinsatzgebiet, dem Satz wissenschaftlicher Veröffentlichungen, auf dem Rückzug. Der Physiker Heisenberg stellte (sinngemäß) fest: «Je genauer man eine Sache betrachtet, desto weniger gut kann man dafür eine andere erkennen», und so bringt eben auch Perfektion auf einem Gebiet ihre Kosten in anderen Bereichen mit sich. Weil die meisten Projekte mehr als nur einen einzigen Aspekt haben, ist Perfektion selbst von extremen Perfektionisten wie Donald Knuth nicht zu erzielen.
«Na und?», entgegnet der Perfektionist, «was schadet es, wenn ich Vollkommenheit wenigstens anstrebe?» Aber die für irgendeinen Plan zur Verfügung stehende Zeit ist immer begrenzt, und sei es durch die eigene Lebenszeit. Das Pareto-Prinzip besagt, dass die letzten 20 Prozent einer Arbeit 80 Prozentder aufgewendeten Zeit und Mühe kosten – was umgekehrt aber auch bedeutet, dass nach 20 Prozent der Zeit die Arbeit schon zu 80 Prozent erledigt ist. Damit sind nicht die ersten 20 Prozent der Zeit gemeint, die man sich für eine bestimmte Aufgabe eingeräumt hat (in denen passiert natürlich gar nichts,
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