Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin
Ordnung zu halten, und ihr Prokrastinationswille bricht sich stattdessen bei der Arbeit Bahn. Auf wissenschaftliche Weise von uns erratene 90 Prozent aller LOBOs aber schieben Putz- und Aufräumarbeiten vor sich her. Beide Tätigkeiten eignen sich dafür ausgezeichnet, weil sie normalerweise weder besonders dringend sind noch auch nur den geringsten Spaß machen.
«Das Gefühl, dass eine bestimmte Pflicht erfüllt werden müsse», schreibt der französische Soziologe Jean-Claude Kaufmann in «Schmutzige Wäsche», «ist paradoxerweise zugleich das erste Zeichen ihres Schwächerwerdens.» Eine Aufgabe, bei der statt Pflichtgefühl ein Gefühl der Selbstverständlichkeit vorherrscht, ist heute etwa das tägliche Duschen oder Sockenwechseln, das selbst unordentlichen Menschen in der Regel leichtfällt. Bis in die sechziger Jahre hinein war es selbstverständlich, dass die Wohnung in Ordnung gehalten werden musste, und damit auch leichter, diese Norm zuerfüllen. Aber aus einer ohne bewusstes Nachdenken ablaufenden Handlung, der man sich nur um den Preis verweigern konnte, sich sehr weit außerhalb der Gesellschaft zu stellen, ist inzwischen eine Aufgabe geworden, die man hinterfragen darf und deshalb beständig hinterfragt. «Nun kann es passieren, », so Kaufmann, «dass sich der Körper einer mühseligen Haushaltsarbeit ganz einfach widersetzt.» Wenn der Körper dabei die Ausrede vorbringt, er habe vor lauter Berufstätigkeit keine Zeit zum Aufräumen, dann lügt er übrigens. In Wirklichkeit hat er einfach keine Lust und sollte das ehrlich zugeben.
Schmutz ist, wie Kaufmann feststellt, «ein soziales Konstrukt» und keine objektive Zustandsbeschreibung. Robert Levine erklärt in «Eine Landkarte der Zeit»: «Als zum Beispiel Ende des 17. Jahrhunderts in Holland billiges Fensterglas auf den Markt kam, wurde es plötzlich unmöglich, den Schmutz in den Häusern weiterhin zu ignorieren.» Und Tom Hodgkinson gibt in «How to Be Free» dem hellen elektrischen Licht die Schuld daran, dass der Dreck heute viel sichtbarer ist als früher. Er rät dazu, auf Kerzenlicht umzustellen und so jede Menge Hausarbeit einzusparen. Die meisten Sorten Dreck sind schließlich unschädlich oder womöglich sogar gesund: Übermäßige Hygiene scheint zumindest bei Kindern das Entstehen von Allergien zu fördern. Auch die Umwelt dankt dem Unreinlichen. Bei Max Goldt heißt es: «Wenn das erste Abwasser aus einer Waschmaschine voll Bettwäsche nicht ackerkrumenbraun ist, dann wäscht man zu zeitig und un-öko.»
Ähnliches gilt für das Aufräumen. «Räumen Sie bei besonderer Arbeitsbelastung unbedingt als Erstes den Schreibtisch und dessen Umgebung auf», empfiehlt Werner Tiki Küstenmacher in seinem Ratgeber «Simplify». «Die dafür aufgewendete Zeit wird durch konzentrierteres, fröhlicheresund schnelleres Arbeiten mehr als wettgemacht.» In Wirklichkeit weiß jeder, wie es weitergeht: Man nimmt die ersten Blätter vom Schreibtisch und entdeckt einen Kontoauszug. Genau, die Kontoauszüge wollte man schon immer mal abheften! In einen Ordner, auf dem «Kontoauszüge» steht, so wie bei anderen Leuten auch! Im Keller könnten noch Ordner sein, aber der Schlüssel für den Keller ist bei Laura, bei der man sich erst wieder melden kann, wenn man ihre Fotos gefunden hat, die müssten auch irgendwo auf dem Schreibtisch liegen, nur weiter unten, ah, verdammt, schon ist der ganze Stapel ins Wanken geraten und auf den Boden gerutscht. Wie es hier unten aussieht, staubsaugen könnte man mal wieder. Am besten, man geht erst mal Staubsaugerbeutel kaufen, aber nicht wieder die falschen wie letztes Mal, die übrigens endlich jemand bei eBay einstellen müsste. Den Schreibtisch aufzuräumen ist ein schöner Plan, der wahrscheinlich auch zu irgendwas Nützlichem führt, nur ganz sicher nicht dazu, dass man in absehbarer Zeit mit der eigentlichen Arbeit anfängt.
Gut, dass ein trostloser, unaufgeräumter Arbeitsplatz seine Vorteile hat. Der Autor Alain de Botton schreibt: «Mein Arbeitszimmer ist so hässlich, dass ich keine andere Wahl habe, als in meine Arbeit zu flüchten, um es so vielleicht zu vergessen. Es reizt mich nicht mehr, herumzusitzen und die Äußerlichkeiten des Schriftstellerlebens zu bewundern. Ich hefte die Augen auf den Monitor. Schönheit mag das Glück befördern, aber mir scheint, dass eine wohlkalkulierte Dosis Hässlichkeit Wunder für die Produktivität wirkt.» Als LOBO ist man ohnehin nicht auf Äußerlichkeiten
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