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Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin

Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin

Titel: Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Kathrin / Lobo Passig
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sehbehinderter Mensch. Universal Design ist eine Gestaltungsphilosophie, die den Unperfekten im Alltag Respekt entgegenbringt; schon allein deshalb sollte sie den LOBOs sympathisch erscheinen.
    Der Vorteil der Einfachheit wird aber nicht nur in technologischen Bereichen entdeckt, sondern zum Beispiel auch im Verkehrswesen. An den Straßen in Mitteleuropa stehen so viele verschiedene, einander auf komplexe Weise beeinflussende Verkehrsschilder, dass die Gesamtheit aller Schilder als eigene Symbolsprache verstanden werden muss. Deren flüssige Beherrschung und Befolgung schien bisher dieGrundvoraussetzung dafür zu sein, dass der Straßenverkehr überhaupt funktioniert. Neue Untersuchungen und Experimente zeigen, dass vielleicht das Gegenteil der Fall ist.
    Das E U-Projekt «Shared Space» des 2008 verstorbenen Niederländers Hans Monderman beruht auf einer extremen Reduzierung der Komplexität – nämlich der Abschaffung sämtlicher Verkehrsschilder, der meisten Verkehrsregeln und sogar des Unterschieds zwischen Straße und Bürgersteig, daher auch der Name Shared Space. Eine Handvoll Gemeinden in Europa, darunter das niedersächsische Bohmte, nehmen an diesem Modellversuch teil, bei dem innerstädtische öffentliche Flächen ohne Bordsteine, Ampeln und Geschwindigkeitsbegrenzungsschilder neu gestaltet werden. Die Entkomplizierung hat dort, wo sie getestet wurde, zu einer deutlichen Reduktion der Zahl und Schwere von Unfällen geführt. Dabei ist die einzige verbleibende Verkehrsregel «rechts vor links». Der Rest bleibt dem gesunden Menschenverstand der Verkehrsteilnehmer überlassen, die die öffentlichen Flächen so benutzen, wie sie es den Umständen entsprechend für angemessen halten, und nicht so, wie sie es laut Schild dürfen.
    Das in den Medien am häufigsten diskutierte Beispiel für Vereinfachung ist Entbürokratisierung. Vergleicht man die Zahl der Willensbekundungen an entscheidenden politischen Stellen mit der tatsächlichen Wirkung, dann scheint der Bürokratieabbau allerdings schwieriger zu sein als die Kernfusion zur Energiegewinnung. Der Verwaltungsapparat ist offenbar ein riesiges krakenhaftes Lebewesen, das sich aus Selbstschutz wehrt, wenn man ihm ein paar unnütze Tentakel abschneiden möchte. Niemand gibt schließlich gern zu, dass er eine überflüssige Aufgabe verrichtet. Und so bekämpft die Bundesregierung Feuer mit noch mehr Feuer und hat 2006 den Normenkontrollrat ins Leben gerufen:«Als unabhängiges Beratungs- und Kontrollorgan», heißt es auf dessen Website, «hat der Nationale Normenkontrollrat (NKR) die Aufgabe, die Bundesregierung dabei zu unterstützen, die durch Gesetze verursachten Bürokratiekosten durch Anwendung, Beobachtung und Fortentwicklung einer standardisierten Bürokratiekostenmessung auf der Grundlage des Standardkosten-Modells zu reduzieren.»
    Man muss nicht weiter ausführen, dass sich hinter dem Standardkosten-Modell eine Vielzahl von komplexen Formeln verbirgt, mit denen die für bürokratieorientierte Tätigkeiten aufgewendete Zeit und die daraus folgenden direkten Kosten berechnet werden sollen – und zwar anhand der sogenannten Informationspflicht, also des für alle möglichen Arbeitsprozesse notwendigen Formularaufkommens. Wären die Ratschläge des NKR befolgt worden, hätte das eine Reduktion der Bürokratiekosten von über 700   Millionen Euro bedeutet. Hätte? Ja, denn auch hier gilt wie bei Ethikrat, Presserat und einigen anderen Räten: Zwischen Rat und Tat liegen ein Buchstabe und eine Welt. Der NKR ist eine rein beratende, berechnende und publizierende Institution ohne Handlungsauftrag und -möglichkeit , also ein reinrassiges Beispiel für Bürokratie. Obwohl er sicher sinnvolle Arbeit tut, darf man durchaus argwöhnisch gucken, wenn ein Bock einem anderen erklärt, wie man Gärtner wird.
    Die schon erwähnten Bürgerämter zeigen aber, dass auch die Verwaltung zu weitreichenden Vereinfachungen in der Lage ist: Inzwischen gibt es Rathäuser, in denen, wie in Berlin Mitte, ein Fotograf bei Bedarf Passfotos schießt und ausdruckt. So nahe diese beglückend gute Idee liegt, man hätte sie jahrzehntelang vermutlich mit der Standardausrede «unüberbrückbare versicherungstechnische Schwierigkeiten» abgetan. Es hat also offenbar eine Haltungsänderung in derAmtslandschaft begonnen, die solche Vereinfachungen ermöglicht.
    Schwierig zu loben hingegen ist das deutsche Steuersystem, das allen Vereinfachungsbemühungen hartnäckig widersteht. Sogar das

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