Dinner for One auf der Titanic
auch noch eine Geburtstagsparty für sie ausrichten.
Das einzig Gute war, dass die Anzahl der Geburtstagsgäste mittlerweile recht übersichtlich ausfiel.
»Können Sie mir wohl sagen, wie ich den Weg aus diesem Labyrinth finde?«
James fuhr herum. Es war dieser seltsame Professor, den Dr.Breastsucker nach Amerika begleiten wollte, bevor er abberufen wurde. Der Gelehrte blinzelte ihn über seine randlose Brille hinweg an.
»Interessante Gesichtszüge, äußerst interessant.«
»Sir?«
Der Professor ließ das Buch sinken.»
Ja, da wacht man eines Tages auf und befindet sich tief, tief in den Abgründen der Seele, nicht wahr?«
Der Professor lachte. Der Mann schien geradezu aufzuleben hier unten. Seine Augen flitzten wie zwei kleine Mäuse hin und her. Er deutete mit dem Arm in den Frachtraum.
»Dunkel und geheimnisvoll, nicht wahr?«
»Sir?«
»Sperrige Erinnerungsstücke, halb verwehte Geschichten und Schuld. Jede Menge Schuld. Ist es hier nicht wie in unser aller Unterbewusstsein?«
»Ich verstehe nicht, Sir.«
»Ich auch nicht«, sagte der Professor. »Es ist anders herum. Unser Unterbewusstsein ist ein Frachtraum.«
Er lächelte und nickte bekräftigend.
»Nun, tief in uns gibt es Triebkräfte und Energien, die unser Leben dirigieren. Und Angst und ... wie heißen Sie, junger Mann?«
»James, Sir.«
»Nun, James, das Leben besteht nicht nur aus Schuld.«
»Nein, Sir.«
»Gut möglich, dass dieser muffige Frachtraum die Geschicke der Titanic bestimmt, nicht wahr? Vielleicht sollte man hier einmal aufräumen?«
»Sir, ich fürchte ...«
»So eine Art Schiffsunterbewusstsein.«
Der Professor blickte sich um.
»Schiffe können denken?«, fragte James.
»Sie können fühlen, sie haben eine Seele.«
Aus der Tiefe unter ihnen drang ein Grollen herauf, begleitet vom Stampfen der Kolben.
»Das ist das Männliche an diesem Schiffsweib.«
Dieser Professor war wirklich eine einnehmende Persönlichkeit. Und nicht zu bremsen. Mit keinem Wort hatte er es für nötig befunden, seinen verstorbenen Assistenten zu erwähnen. So, als wäre Breastsuckers Tod noch gar nicht in die gut und böse, lebendig und tot voneinander unterscheidenden Teile seines Hirns vorgedrungen.
»Sehen Sie, junger Mann. All die Erinnerungen, die hier hübsch verpackt lauern, die Untaten und Schuldgefühle, das schlechte Gewissen vergangener Tage, die bösen Verletzungen der Kindheit, animalische Kräfte ...«
Der Tiger fauchte.
»Was war jetzt das?«, fragte Sigmund Freud.
»Ein verdammter Müllschlucker, Sir.«
»Ja, die Seele ist ein Lagerhaus, nicht wahr? Und da piekst und quält es, geistert es durch unsere Träume, und manchmal faucht es auch. Ja, es faucht.«
»Ich schlafe sehr gut, Sir.«
»Und das Schiff?«
»Das Schiff, Sir? Sie meinen, dass Schiff schläft nicht gut?«
»Ja, warum denn nicht? Warum soll ein Schiff nicht träumen. Es muss ja alles gewissermaßen verarbeiten, nicht wahr?«
»Soweit ich weiß, fährt die Titanic auch in der Nacht, Sir.«
»Ob das gut ist? Auch ein Schiff muss sich ausruhen.«
»Ausruhen?«
»James, ein Schiff hat eine Seele, und die ist mit der unsrigen verknüpft, nicht wahr? Auch, wenn sie unter der Wasserlinie liegt. Im Vertrauen ...«
Der Professor näherte sich dem Ohr von James.
»Unsere Seele liegt auch unter der Wasserlinie. Haben Sie das gewusst?«
James nickte. Vielleicht war sogar ein Fünkchen Wahrheit an dem, was der Mann sagte. Dennoch war es verrückt. Der tat ja geradeso, als wenn diese Nagelkiste ... Unsinn. Das fehlte noch, dass er jetzt auch in der Nacht keine Ruhe mehr fand.
Eine Ladeluke wurde geöffnet, und der Professor blinzelte in den hereinfallenden Lichtstrahl. Er sah aus wie ein Nachttier, das ängstlich und ungläubig von der aufgehenden Sonne überrascht wird.
»Manchmal sieht man in der Dunkelheit besser, nicht wahr?«
Der Professor reichte ihm eine Visitenkarte, dann stolperte er auf die Schiebetür zu, von der eine Treppe hinauf auf das Deck führte.
* * *
»An diesem Tisch sehen wir drei leere Stühle«, sagte Jessup Finch-Meyers.
Er machte eine Pause. Miss Sophie legte seufzend ihre Serviette auf den Tisch.
»In der Tat, die Geselligkeit hat ungemein gelitten.«
Finch-Meyers blickte drohend in die Runde.
»Es scheint, als hätte der Sensenmann persönlich an dieser Tafel Platz genommen. Da haben wir also einen russischen Fürsten mit dunklen Neigungen, der von heute auf morgen verschwindet.«
»Wenn diese Entwicklung
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