Dinnerparty
stocknüchtern. Er verlor den Boden unter den Füßen. Sein Besucher hatte seine Beine mit den Armen hochgerissen. Vor lauter Panik blieb ihm die Luft weg. Er war nicht einmal in der Lage, um Hilfe zu rufen. Gleich würde er über die Brüstung stürzen.
»Sorry, aber du bist einfach erbärmlich. Und kein Mensch auf diesem Planeten wird dich vermissen!«
Das waren die letzten Worte, die er hörte, bevor er fiel. Er hörte seine eigenen Knochen splittern. Blut quoll ihm aus der Nase und aus dem Mund, als er neben den Mülltonnen noch einmal kurz zu Bewusstsein kam. In diesem Moment wurde ihm klar, dass er gleich sterben würde.
*
Sophie fuhr langsam. Mit 120 Stundenkilometern steuerten sie Hamburg an. Seit 20 Minuten schwiegen sie. Ben schien genau wie sie diese Bilder verarbeiten zu müssen. Rubens, sein halbes Gesicht, die Fliegen und die Hirnmasse. In seinem Abschiedsbrief hatte er den Mord an Laura gestanden. Rubens war der Täter. Die Geschichte musste jetzt hier enden. Trotzdem wollte sie den vereinbarten Termin mit Marcello Mari wahrnehmen. Das Gespräch sollte sie schließlich für die ›Stars & Style‹ machen. Es ging um ihren Job. Sophie hörte ein leises Schnarchen von der Rückbank. Zumindest Ronja schlief.
»Ben?«, fragte sie leise. »Ich bin spät dran. Ich bin mit Mari im Au Quai verabredet. Das Restaurant liegt direkt an der Elbe in Neumühlen. Soll ich erst nach Hause fahren oder kann ich euch dort rauslassen?«
Ben atmete tief durch. »Ich würde gern noch ein Stück laufen. Der Kleinen da hinten geht es bestimmt ähnlich.«
Sophie nickte. »Willst du reden?«
»Was gibt es da zu reden? Es war ein scheußlicher Tag!«
»Ben, es tut mir leid, dass ich dich da mit reingezogen habe. Ich konnte doch nicht wissen …«
»Ich habe dir auch keinen Vorwurf gemacht. Rubens hat sich erschossen. Er hat Laura umgebracht und sich dann getötet. Gut so, oder? Du kannst endlich aufhören, herumzuschnüffeln. Der Fall ist aufgeklärt.«
»Ja. Zum Glück.«
Sophie parkte den Wagen. Ben verabschiedete sich mit einem flüchtigen Kuss. Er schien nur noch weg zu wollen. Sophie sah ihm und Ronja einen Augenblick nach. Wie gern wäre sie mitgegangen. Ein Spaziergang an der frischen Luft. Der Strand. Fröhliche Menschen, die einen Grill aufgebaut hatten und den Abend genossen. Sophie gab sich einen Ruck und betrat das Au Quai. Auf der Terrasse wartete Mari bereits auf sie. Er kaute auf einem Zahnstocher. Als er sie sah, sprang er sofort auf.
»Sophie, meine Liebe. Es tut mir leid, aber ich habe bereits gegessen. Haben Sie Hunger? Ich kann das Rinderfilet vom La Morocha empfehlen. Es war schön blutig. Genau so, wie ich es mag.«
27
Die junge Studentin wollte einfach nur schnell den Müll zum Container bringen. Sie musste sich noch umziehen und ein bisschen stylen. Heute fand in der Uni eine Party statt. In Gedanken ging sie ihre Garderobe durch und überlegte, welches Oberteil sie anziehen sollte. Mit dem Müllbeutel im Arm schlenderte sie über den Hof zu den Containern. Was für ein perfekter Tag. Sie freute sich schon seit Wochen auf die Party. Und bei diesem wunderbaren Wetter würde sie mit ihrer Clique sicher die ganze Sommernacht durchfeiern. Ach, scheiße, dachte sie plötzlich, als sie mit ihren Flipflops in eine Pfütze trat. Sie blickte nach unten auf ihre Füße und schrie auf. Blut. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Hektisch sah sie sich um. Keine Sekunde später entdeckte sie die Quelle. Der eigenartige Nachbar. Er lag merkwürdig verdreht neben dem Müllcontainer. Das Blut rann aus seinem Schädel. Sie blieb stocksteif stehen. Ihr wurde übel, wenn sie nur an ihren Fuß dachte, der mit dem Blut dieses Mannes besudelt war. Sie musste Hilfe holen. Hatte sie ihr Handy mitgenommen? Sie ließ den Müllsack zu Boden gleiten und tastete mit zitternden Fingern ihre Hosentaschen ab. Sie hatte kein Telefon dabei. Es musste oben in der Wohnung liegen. Sonst trug sie es immer bei sich. Warum nicht jetzt? Ihre Augen brannten. Sie musste irgendwas tun. Vielleicht lebte der Mann noch. Sie zwang sich, genauer hinzusehen. Wenn er noch am Leben war, musste er sofort in ein Krankenhaus. Erste Hilfe. Sie unterdrückte einen Würgereiz. Nein, sie war dazu nicht in der Lage. Sie konnte sich nicht in das Blut knien und diesen Alkoholiker beatmen. Er war der unangenehmste Nachbar, den sie sich überhaupt vorstellen konnte. Sie war ihm oft im Treppenhaus begegnet. Vormittags war er immer grußlos
Weitere Kostenlose Bücher