Dinotod: Tannenbergs vierter Fall
Tannenberg.
„Nein, nein, das hat mir mal eine Kriminalpsychologin vom LKA erzählt. Vielleicht erinnerst du dich ja noch an diese Frau? Wie hieß die nochmal?“, fragte der Leiter der Spurensicherung scheinheilig.
„Eva, Kollege Mertel. Übrigens hieß die Frau nicht nur so, die heißt immer noch so“, antwortete der Rechtsmediziner an Tannenbergs Stelle. „Und ob sich der Herr Hauptkommissar noch an diese dralle Dame erinnert, gell, mein liebes Wölfchen? Schließlich hatte er, oder vielmehr hat er noch, einen großen Stein bei ihr im Bett – ähm, Entschuldigung: Brett, im Brett natürlich.“
Alle, die vor einiger Zeit der inzwischen Kultstatus erlangten Gartenfete auf dem Grundstück der Familie Fouquet beigewohnt hatten, konnten sich nun eines dezenten Grinsens nicht mehr erwehren. Sie kaschierten ihre Belustigung über die Bemerkung Dr. Schönthalers dadurch, indem sie sich entweder von ihrem Chef abwandten oder eine Hand schützend vor den Mund warfen.
Tannenberg war die Erinnerung an die damaligen Ereignisse natürlich mehr als unangenehm, deshalb ergriff er todesmutig die Flucht nach vorne: „Ihr seid doch alle bloß neidisch!“
„Chef, haben Sie sie nun damals – oder haben Sie sie nicht?“, brach es aus Geiger, der gerade eine große Kaffeetasse vor seinen Chef abgestellt hatte, in einem Anflug von Tollkühnheit heraus.
Dr. Schönthaler schaltete sofort. Während Tannenberg tief Luft holte, gab er Geiger ein unmissverständliches Zeichen, sich umgehend aus dem Staub zu machen. Und noch bevor sein Freund, dessen Gesicht inzwischen einen leicht rötlichen Farbton angenommen hatte, zu dem unausweichlichen verbalen Amoklauf starten konnte, zog er aus einer mitgebrachten Plastiktüte einen etwa sechzig Zentimeter langen und circa fünfzehn Zentimeter hohen Stegosaurus heraus, über dessen stacheligem Rücken eine fleischfarbene Stoffpuppe hing.
Tannenberg war so verblüfft, dass er bereits nach der ersten Silbe, die gerade explosionsartig nach draußen gelangt war, schlagartig verstummte. Mit geöffnetem Mund und weit aufgerissenen Augen beobachtete er gebannt, wie der Rechtsmediziner sein merkwürdiges Mitbringsel auf dem braunen Resopaltisch abstellte.
„Sag mal, Wolf, habt ihr hier zufällig irgendwo ein Buch?“
„Was? Ein Buch?“
„Ja, ein Buch. Ach so, Entschuldigung: Kripobeamte wissen ja nicht, was das ist. Also, das ist so ein Ding mit zwei harten Pappdeckeln außenrum und vielen aneinandergeklebten Blättern innendrin“, antwortete Dr. Schönthaler, während er sich zu Tannenbergs Schreibtisch begab und sich dort ein dickes, gebundenes Wörterbuch schnappte. „Whow, der Duden – sogar mit der neuesten Rechtschreibung. Aber was wollt ihr denn damit? Ihr habt ja noch nicht mal die alte beherrscht!“
Tannenberg machte eine wegwerfende Handbewegung. „Sag mir mal lieber, was dieses Kasperletheater hier eigentlich soll.“
Der Rechtsmediziner erwiderte zunächst nichts, sondern postierte das gelbe Sprachlexikon mit der offenen Seite nach unten direkt an die Tischkante. Dann zog er die Puppe von der Dinosauriernachbildung und stellte den Stegosaurus auf den Teppichboden – von der Tischkante aus gesehen fast genau in der Falllinie.
„Ich werde euch jetzt mal etwas sehr Interessantes demonstrieren. Und zwar werde ich beweisen, dass der Täter nicht etwa ein Zielwerfen mit dem Leichnam veranstaltet hat, wie man ja durchaus annehmen könnte, sondern dass es sich dabei um einen unglaublichen Zufall gehandelt hat.“
„Du wirst es mir wahrscheinlich nicht glauben, lieber Rainer, aber das hab ich sowieso nicht angenommen.“
„Ach Gott, Wolf, es geht doch hier nicht um irgendwelche spekulativen Annahmen, es geht um Be-wei-se!“, rüffelte der Gerichtsmediziner. „Und zwar darum, zu be-wei-sen, dass die arme Frau gar nicht anders konnte, als genau so auf dem Dino zu landen, wie wir sie vorgefunden haben.“
Allseitiges Schmunzeln machte die Runde.
Nach einer kleinen Besinnungspause lehnte Dr. Schönthaler die Puppe vorsichtig mit dem Rücken an das Buch. Anschließend erläuterte er das von ihm geschaffene Szenario: „Also, dann passt nun mal gut auf. Der Dudenband ist natürlich der Zaun. Und jetzt müsst ihr euch vorstellen, dass der Täter die Frau auf den ein Meter dreißig hohen Metallzaun gehievt hat und sie dann nach unten fallen ließ. Und zwar so.“
Nun ergriff er mit beiden Händen die schlaffe Puppe, schob sie über das Buch hinweg und demonstrierte in
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