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Dinotod: Tannenbergs vierter Fall

Dinotod: Tannenbergs vierter Fall

Titel: Dinotod: Tannenbergs vierter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Franzinger
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Lieblingsgetränk ließ die sonst übliche Temperatur, in der es normalerweise dargeboten wurde, zwar nur noch erahnen, aber die lauwarme Flüssigkeit wirkte trotzdem belebend auf ihn.
    Mit gierigem Blick saugte er die vielen Fotos von fernen Ländern in sich auf, inspizierte eingehend die abgebildeten Hotelzimmer und Swimmingpools, verglich Flugpreise, beamte sich direkt an verlockende Traumstrände oder versuchte sich das Leben auf einem Kreuzfahrtschiff vorzustellen, mit dem man eine monatelange Weltreise unternahm.
    Seine rechte Hand strich dabei mehrmals über die tropfenbesetzten Holzbalken. Erst als er nach einer Weile die vom Handgelenk an seinem Arm hinaufkletternde Kühle bemerkte, zog er die Hand reflexartigen zurück und trocknete mit einer geschwinden Bewegung die Feuchtigkeit an seiner Hose ab. Kopfschüttelnd schmunzelte er vor sich hin, während er sich anschließend wieder in die Urlaubs-kataloge vertiefte.
    Im Verlaufe dieses ungewöhnlich heißen Maitages waren nur kurzzeitig Gedanken an die beiden toten Frauen aufgeflackert. Mit jedem Tag Abstand von dem von ihm im Affekt begangenen Totschlag an seiner Tante und dem von seinem Bruder durchgeführten Mord an der Kulturredakteurin der PALZ reduzierte sich die Bedeutsamkeit dieser dramatischen Ereignisse ein wenig mehr, und es gelang ihm schließlich immer besser, sich davon innerlich abzukoppeln.
    Sein Gehirn verdrängte die schrecklichen Vorkommnisse von Tag zu Tag erfolgreicher, zerhackte die lästigen Gedanken in viele kleine Einzelteile und katapultierte sie nacheinander aus seinem Bewusstsein hinaus.
    Zur Entlastung von diesem enormen moralischen Druck, unter dem er noch vor ein paar Wochen fast zu zerbrechen drohte, hatte sich das psychische System im Laufe der Zeit immer ausgeklügelterer Mechanismen bedient.
    Da war zum einen das Phänomen der selektiven Wahrnehmung. Es funktionierte bei Peter Walther ähnlich, wie bei einem notorischen Kettenraucher, dessen Hirn ihm nicht permanent die enormen Gesundheitsgefahren vor sein geistiges Auge zerrte, sondern ihm sofort, wenn er mit unangenehmen Informationen konfrontiert wurde, einen 85-jährigen Nachbarnin Erinnerung rief, der trotz seines lebenslangen Nikotingenusses quietschfidel dieses hohe Alter erreicht hatte.
    Zudem sorgte sein psychisches System dafür, dass sich Peters moralische Maßstäbe mit der Zeit immer deutlicher von seiner ursprünglichen Ausprägung entfernten. War sein Denken und Handeln bislang von einer, auf seine streng religiöse Erziehung zurückzuführende, stark christlich orientierten Ethik bestimmt gewesen, so befreiten ihn die an seinem psychischen Überleben stark interessierten inneren Wirkmechanismen zusehends von diesen starren Fesseln.
    In der Praxis gestalteten sich diese hinter seiner Schädeldecke ablaufenden, komplexen und undurchsichtigen Prozesse folgendermaßen: Glimmte ein durch irgendein äußerer Anlass bedingter Gedanke an den von ihm begangenen Tötungsdelikt auf, so feuerte sein Gehirn sofort mit einer Salve Rechtfertigungsmunition: ›Die hat ihren Tod doch verdient, die alte Hexe‹; ›Die war doch selbst an ihrem Schicksal Schuld; sie hätte uns eben etwas von ihrem Reichtum abgeben sollen, die geizige Alte‹ usw. Obwohl ihm diese verborgenen Stabilisierungs-Mechanismen natürlich nicht bewusst waren, funktionierten sie überraschend effektiv.
    Und jetzt kann ich mir endlich was gönnen, mir einen richtig großen Wunsch erfüllen, jubilierte er, während er den Katalog zusammenklappte und in seine mit unübersehbaren Gebrauchsspuren verzierte Aktentasche schob. Was heißt einen ? Er ballte die Fäuste. Alle Wünsche kann ich mir jetzt erfüllen! Das hab ich mir nach dieser verfluchten jahrelangen Bescheidenheit und Aufopferung für die Familie wohl auch wahrlich verdient! Und jetzt hab ich endlich auch das nötige Geld dafür! Konsumieren, kaufen – was ich will. Und alles ohne diese schrecklich nervigen Preisvergleiche anstellen zu müssen!
    Eigentlich bin ich ja jetzt schon kein anonymer, armer Schlucker mehr, der sich von außen staunend die Nase an den Scheiben plattdrücken muss. Aber ich muss mich noch ein wenig gedulden, noch weitere Zeit verstreichen lassen. Aber dann werde ich ganz cool in ein Reisebüro oder in einen Autosalon reingehen, mit meinen Dollars winken – und plötzlich bin ich ein potentieller Kunde, ein umworbener Käufer.
    Sein verklärter Blick schwebte über die farbenfrohe Blumenpracht der kreisrunden Parkanlage.

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