Dinotod: Tannenbergs vierter Fall
körperlichen Aktivitäten und des reichlichen Alkoholgenusses hatten die Eheleute an diesem Abend keinerlei Einschlafprobleme.
Allerdings wurde Peter in den frühen Morgenstunden der ersten seit langer Zeit wieder einmal gemeinsam mit seiner Gattin in der ehelichen Liegestätte verbrachten Nacht vom geräuschvollen Schnarchen seiner Frau geweckt und konnte fortan keinen Schaf mehr finden.
Ein kurzer Blick streifte den fahl erleuchteten Wecker. Eigentlich musste er erst in eineinhalb Stunden aufstehen. Mit einer routinierten Bewegung schaltete er die Alarmfunktion aus, kroch vorsichtig aus dem Ehebett.
6 Millionen Dollar – unglaublich! Einfach unglaublich!, dachte er kopfschüttelnd, während er mit gemächlichen Schritten den hell erleuchteten Flur entlangschlurfte. Jetzt hab ich ihr doch tatsächlich mein Geheimnis verraten. Paul wird ausflippen, wenn er Wind davon bekommt! Aber der braucht es ja gar nicht mitzukriegen. Helga wird schon ihren Mund halten. Ich hab ihr ja auch nur Andeutungen gemacht. Mehr muss sie nicht wissen. Jetzt noch nicht.
Er löschte das Flurlicht, betrat die Küche und zog vorsichtig die Tür ins Schloss. Dann brühte er sich eine kleine Kanne starken Kaffee. Mit der dampfenden Tasse in der Hand schlurfte er wenig später zum Fenster, zog die Vorhänge zurück und ließ seinen Blick über die Dächer der gerade aus ihrem nächtlichen Schlummerzustand erwachenden Stadt schweifen.
Obwohl er eigentlich zu wenig geschlafen hatte, fühlte er sich an diesem Morgen weitaus erholter als in vielen Nächten zuvor. Denn an zusammenhängende Tiefschlafphasen war bis vor ein, zwei Wochen kaum zu denken gewesen. Die ersten Nächte nach seiner Tat hatte er überhaupt nicht einschlafen können, hatte sich wild in seinem Bett im Gästezimmer herumgewälzt und war von schrecklichen Alpträumen geplagt worden.
Und wenn er tatsächlich einmal für einige Zeit hinweggedämmert war, wurde er schon bald von erbarmungslosen Plagegeistern geweckt, die seinen völlig übermüdeten Körper mit kleinen Stromstößen malträtierten und ihn schweißgebadet erwachen ließen.
Irgendwann war er dann auf die Idee gekommen, als Einschlafhilfe komplizierte Rechnungen durchzuführen – ein Tipp, den er auf der Internetseite einer Selbsthilfegruppe gelesen hatte. Allerdings erfüllte sich seine damit verbundene Hoffnung, auf diese Weise möglichst schnell die Tür zum Wunderland des Schlafes aufstoßen zu können, wenn überhaupt, immer erst spät in der Nacht.
Aber selbst dann kehrte in seinem pulsierenden Gehirn keine wirkliche Ruhe ein: immer wieder tauchten abgerissene Traumfetzen mit chaotischem Inhalt in schnellwechselnder Folge auf seiner inneren Kinoleinwand auf.
Auf Zehenspitzen schlich er durch das totenstille Haus hinaus in den Garten und entnahm der Zeitungsbox die Pfälzische Allgemeine Zeitung . Erst seit wenigen Tagen war er wieder in der Lage, einigermaßen unbefangen Zeitung zu lesen. Zwar durchforsteten seine Augen nach wie vor zuerst mit flackernden, hektischen Blicken die großformatigen Seiten nach Artikeln über den aktuellen Stand der kriminalpolizeilichen Ermittlungen.
Aber da die Berichte darüber immer spärlicher wurden und auch inhaltlich eigentlich nichts Neues mehr boten, nahm er die Zeitungsartikel inzwischen wesentlich gelassener auf als noch vor einigen Wochen, wo er nicht selten von plötzlichen Schweißausbrüchen heimgesucht wurde, wenn er irgendetwas zu diesem Thema entdeckt hatte.
Damals hatte ihn das Mörderspiel, mit dem die PALZ plötzlich aufgewartet war, dermaßen geschockt, dass er aus Angst, irgendjemand aus der Bevölkerung könne durch einen blöden Zufall dem nahezu perfekten Plan der beiden Brüder auf die Schliche kommen, fast wahnsinnig geworden wäre. Aber auch diese effekthascherische Spielart des modernen Sensationsjournalismus hatte den Höhepunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit bereits weit überschritten und lag nun in ihren letzten Zügen.
Nach einer beruhigenden Schnellsichtung, bei der er lediglich ein Interview mit Dr. Eva Glück-Mankowski über modernes Täterprofiling fand, das aber nur am Rande auf den konkreten Fall Bezug nahm, blätterte er zurück in den Wirtschaftsteil, wo er sich nun regelmäßig über attraktive Finanzanlagen informierte. Im Anschluss an eine ausgiebige Sondierung des Sportteils, arbeitete er sich durch den Lokalteil. Dort hakte sich sein Blick bei den Todesanzeigen fest.
Ihm wurde plötzlich ungewöhnlich feierlich zumute.
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