Diplomat Im Abseits
zu erwartenden Schwierigkeiten bei der Identifizierung der Wasserleiche hingewiesen. Leitender Kriminaldirektor Dr. Wenders, flott und forsch wie immer, ließ gar nicht erst den Gedanken aufkommen, daß dieser Fall besonders problematisch sein könnte. Er schaltete sein anspornendes Lächeln ein. »Hab’ schon kapiert, Freiberg; um die Explosion an der Adenauerallee soll sich ein anderer kümmern. Sie und Ihre Mitarbeiter nehmen sich den Baggerfall vor – und werden ihn klären.«
»Braucht das erste K. Verstärkung?« fragte Kriminalrat Roberts.
»Nein«, sagte Freiberg schnell und kam damit der Antwort des Leitenden zuvor. »Wir haben zu wenig Fakten. – Wenn’s bedrohlich wird, gebe ich Laut. Jetzt sind erst mal die Klinkenputzer gefragt.« Freiberg war kein Freund von spektakulären Großaktionen.
»Gut, ihr haltet mich auf dem laufenden«, bestätigte Dr. Wenders den Kurs und entließ seine Mitarbeiter mit dem Standardspruch, der Freibergs Nervensystem immer wieder bis zur Grenze des Erträglichen strapazierte: »Meine Pastorenkinder werden es schon schaffen.«
Fräulein Kuhnert hatte inzwischen alle erreichbaren Mitarbeiter des 1. Kommissariats in Zimmer 306 zusammengetrommelt. Lupus wanderte zwischen seinem Stammplatz und dem Fenster mit der Aussicht auf das Siebengebirge hin und her. Ein paar Wolken hingen hoch am Himmel.
Ahrens saß mit dem Rücken zur Verbindungstür, um seiner Kuhnert nahe zu sein und ihr zu helfen, Kaffee und Kekse zu servieren – eingedenk der Worte seines Chefs: »Man kann den Kaffee doch nicht trocken hinunterwürgen.«
Hauptmeister Peters, dessen Haaransatz weit hinter die Stirn geflüchtet war, hatte keinen Stammplatz. Nach seiner schweren Bauchverletzung durch das Dum-Dum-Geschoß eines Bankräubers hielt es ihn nie lange auf einem Stuhl. Dieser Schuß hatte viel Unheil angerichtet – und nachdem auch seine Ehe zerbrochen war, hatte es für Peters schwere Zeiten gegeben. Jetzt war er wieder gern und voll im Dienst, aber die Umtriebigkeit hatte er noch nicht abgelegt. – Ihm war jeder Auftrag willkommen, der nicht Büroarbeit und Aktenstudium bedeutete.
Als letzter hatte sich der »Beißknochen« von Lupus – Jungkommissar Singer – an den Tisch gesetzt, ein etwas unbedarfter Angeber, den Freiberg gern wieder losgeworden wäre. Aber da Personal knapp war, hätte er keinen Ersatz bekommen. Das 1. K. mußte sich mit Singer abfinden. Lupus hatte es stillschweigend übernommen, den Frischling Mores zu lehren; bei ihm bekam der »Macker« keinen Stich.
In den angeschlagenen Tassen dampfte der Kaffee. Als der Kommissar die Runde vervollständigte, hatte Lupus schon eine blumige Schilderung der Vorfälle geliefert. »Na«, fragte er, »dürfen die Pastorenkinder…?«
»Hör auf! Diese Spruchweisheit aus dem Munde unseres Leitenden zu vernehmen, reicht vollkommen. Also, den Explosionsfall sind wir los; dafür haben wir die Wasserleiche am Hals. – Danke Kuhnert, der Kaffee ist primissimo.« Freiberg trank in kleinen Schlucken und versorgte sich mit Gebäck.
»Hat Singer schon mal eine Wasserleiche gesehen?« fragte Lupus über den Tisch, ohne den Macker anzublicken. Der reckte den Kopf hoch. »Noch nicht; das würd’ mich sehr interessieren. Leichenfestigkeit gehört ja schließlich zum Beruf.«
Lupus verzog das Gesicht.
»Nun, wenn Sie es so wollen«, sagte Freiberg, »dann mal los; gleich rüber zum Stiftsplatz. Fräulein Kuhnert meldet Sie bei Professor Klenze an. Dort können Sie Ihre Leichenfestigkeit prüfen und den vorläufigen Untersuchungsbefund mitbringen. – Aber, ich warne Sie, bei diesem Augenschein sind starke Nerven gefragt.«
»Ach, wem sagen Sie das?« warf Singer sich in die Brust. »Eine Leiche mehr oder weniger – was macht das schon.«
»Du kannst abschwirren«, bedeutete Lupus ihm mit einer Handbewegung, als gelte es, Fliegen zu verscheuchen. Fräulein Kuhnert ging zum Telefon, um Singer im Institut für Rechtsmedizin anzumelden; dann legte sie dem Kommissar einen Stapel Computerauszüge auf den Tisch. »Hier, die Vermißtenmeldungen für die letzten dreißig Tage – bundesweit. Mehr als die Hälfte sind Frauen, aber nur zwei entlang der Rheinschiene. Eine abgängige Soldatenfrau aus Koblenz und eine demente Lebensmüde aus Remagen. Die dürfte ihren Kindern davongelaufen sein, weil sie in ein Heim kommen sollte.«
Freiberg blätterte den Stapel durch. »Tja, fast alle Abgänge in den Großstädten; Hamburg und Frankfurt haben die meisten
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