Diplomat Im Abseits
sprechen. »Subin ist tot. Sie wurde umgebracht und in den Nicolaifleet geworfen. Dieses Schwein hat sie umbringen lassen.«
»Von wem sprichst du?«
»Vom Kokainboß Naval, bei dem ich gelebt habe. Er ist der perverseste Mensch auf Erden. – Ich habe schreckliche Angst, daß er auch mich findet – dann bin ich verloren.«
»Weiß er, daß du im Oldsmobile wohnst?«
Paulette strich sich das Haar aus dem Gesicht und beugte sich wieder vor, um Halt zu suchen. »Ich glaube nicht; aber das ist wohl nur eine Frage der Zeit, bei seinen Verbindungen.«
»Ich verstehe gar nichts. Willst du mir nicht…«
»Bleibst du länger in Hamburg?« unterbrach sie ihn.
»Ich muß morgen nach Essen zum Vertretertreffen West- und Norddeutschland.«
Sie legte ihren Mund an sein Ohr. »Kannst du sofort fahren?«
»jetzt gleich?«
»Ja, in den nächsten Minuten – so schnell es geht.«
»Auch das, wenn es sein muß.«
»Nimm mich mit – . bitte. Ich muß hier verschwinden. Bitte, nimm mich mit.«
»Kind«, sagte der Mann, »du bist ja halbtot vor Angst. – Los, pack deine Koffer. Ich habe mein Gepäck noch im Wagen.«
Paulette warf die Toilettensachen in die Kulturtasche und nahm sich nicht die Zeit, ihre Kleider zusammenzulegen. Sie stopfte alles in den Koffer und holte ihren Mantel. »Ich bin bereit; sag unten nicht, daß wir abfahren. Ich habe für die ganze Woche bezahlt. Tu so, als hättest du deinen Koffer abgeholt.«
»Schon gut, aber willst du…?«
»Gleich wirst du alles erfahren; ich rufe die Polizei an. Merk dir jedes Wort, das ich sage, genau – ohne etwas aufzuschreiben.«
Sie setzte sich auf die Bettkante und wählte 1-1-0. Jetzt kam es nicht mehr darauf an, von wo aus sie telefonierte.
Schon nach dem zweiten Rufzeichen wurde das Gespräch angenommen. »Polizei, Hamburg.«
Paulette umklammerte den Hörer, daß ihre Hand weiß wurde. »Ich habe schon einmal bei Ihnen angerufen wegen einer vermißten Frau. Heute habe ich eine Meldung zu der Toten aus dem Nicolaifleet zu machen. Sie ist die vermißte Frau.«
»Geben Sie mir bitte Ihren Namen und Ihre Adresse an, dann verbinde ich Sie weiter«, sagte der Beamte in der Einsatzzentrale.
»Nein – hören Sie zu. Dies ist meine letzte Nachricht an die Polizei. Bei der Toten handelt es sich um Subin Tairong, die aus dem Babylon in St. Georg verschwunden ist. Sie hat vor ihrer Verschleppung ins Babylon bei Señor Naval am Jenischpark gewohnt. Sie wurde von der Agentur ›Felicidad‹ vermittelt. Naval ist pervers und steckt dick im Kokaingeschäft. Subin Tairong – sie ist Thailänderin – hätte ihm gefährlich werden können. Ich vermute, daß sein Arm lang und stark genug war, sie zu beseitigen.«
»Bitte, geben Sie mir Ihre Adresse an, damit wir jemanden zu Ihnen schicken können«, sagte der Mann am Funktisch mit ruhiger Stimme.
Über Paulettes Gesicht glitt die Andeutung eines Lächelns, als sie antwortete: »Danke, nein. – Ich bin immer noch nicht lebensmüde.« Ihre verkrampfte Hand lockerte sich, und sie legte auf.
»Komm!« sagte der Mann zu ihr. »Ich habe genug gehört. Wir verschwinden – und zwar sofort!«
Paulette öffnete ihre Handtasche und zog einige Geldscheine heraus. »Das ist alles, was ich noch habe – nimm es.«
Der Mann schüttelte den Kopf und sah sie traurig an. »Steck das Geld ein, ganz schnell! Ich weiß, daß du mich nicht beleidigen willst, aber mach das nie wieder – klar? Nun komm, wir zwei fahren jetzt los Richtung Baldeneysee.«
Kaum eine Viertelstunde später hatte Hauptkommissar Biestritz die anonyme Meldung auf dem Schreibtisch. Er bedauerte, daß es der Einsatzzentrale nicht gelungen war, die Anruferin zu identifizieren. Nach der Analyse der Tonbandaufzeichnung sprach vieles dafür, daß sie eine Deutsche war; jedenfalls lag kein ausländischer Akzent in der Stimme. Die Nachricht der geheimnisvollen Anruferin paßte ganz und gar nicht in die sich andeutenden Zusammenhänge zwischen der Toten aus dem Nicolaifleet und der Toten aus dem Rhein.
Aber der Hinweis auf Naval war so konkret, daß ihm sofort nachgegangen werden mußte. Biestritz klappte energisch die vor ihm liegende Vermißtenakte zu und informierte den Chef 21, Tötungs- und Sexualdelikte, über die anlaufende Recherche im Jenischpark.
Die Fahrt über St. Pauli Fischmarkt und Palmaille zur Elbchaussee entschädigte ihn immer wieder für die Hektik in der Stadt. Biestritz, der Mann aus Pommern, genoß den Blick von Övelgönne auf das Panorama
Weitere Kostenlose Bücher