Dirk und ich
wurde nämlich ganz blass im Gesicht und ich dachte, er kneift und dass dann Behruz nicht über das Sims laufen müsste und alles wäre in Butter und wir könnten zusammen Sonnenblumenkerne essen.
Aber stattdessen sagte Uli, abgemacht, Körnerfresser, dann fang mal an.
Und Behruz stand auf und ich hatte ein Gefühl im Bauch, als ob ein Schwarm Fische drin rumschwimmenwürde. Keiner sagte was, als er das Fenster aufmachte und dann auf einen Stuhl stieg und raus auf das Sims kletterte.
Und keiner achtete darauf, dass Susanne aus der Klasse schlich, weil ja alle auf Behruz schauten.
Gott sei Dank waren seine Schuhe nicht rutschig. Behruz machte ein paar Schritte nach rechts, bis er richtig an der Hauswand klebte, ohne das Fenster im Rücken. Die ganze Klasse drängelte und drückte sich jetzt zusammen, weil jeder was sehen wollte. Uli stand ganz vorne und guckte auf Behruz und biss sich dabei auf die Lippen.
Mittlerweile fand ich die ganze Mutprobe ziemlich bescheuert und ich hatte Angst, dass Behruz runterfallen könnte. Dann wäre er tot und wir wären schuld, weil keiner ihn aufgehalten hatte, und seine Eltern wären sauer, weil er nicht Minister würde.
Mir war ganz schlecht.
Behruz war jetzt schon fast an der Ecke angekommen, wo es um die Hauswand herumging. Er hatte den Rücken und die Arme ganz flach an die Wand gepresst und machte kleine Schritte zur Seite, wobei er den Schnee vom Sims schob, weil er die FüÃe nicht hochhob. Er guckte geradeaus und kein einziges Mal nach unten.
Wenn er das getan hätte, hätte er gesehen, dass unten plötzlich Herr Bartel stand und neben Herrn Bartel Susanne. Schneeflocken wirbelten um die zwei herum und die Haare von Herrn Bartel flogen in alle Richtungen um seinen Kopf.
Er rief, Junge, geh sofort von dem Süms runter ün dü Klasse zurück! Susanne schrie auch irgendwas, aber man konnte es nicht richtig hören.
Behruz blieb stehen.
Und durch die Schneeflocken, die um ihn herumwehten, konnte ich sehen, wie er weinte.
Das ist nämlich so: Erst ist man mutig, und solange man keine Angst hat, klappt alles prima. Und dann kriegt man plötzlich doch Angst und es geht gar nix mehr. Und wenn man dann gerade zwölf Meter über der Erde auf einem Fenstersims steht, ist es ein ganz schöner ScheiÃ, weil man sich nicht mehr bewegen kann.
Uli sah auch, dass Behruz weinte und wie unten Herr Bartel wie ein Verrückter rumsprang und wie Susanne jetzt auch heulte.
Jemand fragte, was machen wir bloÃ?
Da holte Uli tief Luft und sagte, also, weil er schuld wäre an dem Mist, würde er jetzt Behruz zurückholen. Und schon stand er drauÃen auf dem Fenstersims.
Unten kreischte Herr Bartel wie Oma, wenn sie einen von ihren Herzinfarkten kriegte. Vielleicht dachte er, der Rest der Klasse würde auch noch rausklettern, jedenfalls rannte er zurück ins Gebäude.
Susannes Stimme piepste von unten rauf, der Bartel würde die Feuerwehr holen.
Mann, das war bestimmt das Spannendste, was ich jemals erlebt habe, und ich ärgerte mich, dass Dirk und Richard nicht dabei waren. Jetzt kamen auch noch andere Lehrer nach drauÃen auf den Schulhof und überall guckten Schüler aus den Fenstern. Alle kreischten wild durcheinander und dann flog die Tür vom Klassenzimmer auf und Herr Holm, unser Sportlehrer, kam reingerannt.
Er brüllte, wir wären ja wohl alle verrückt geworden oder was, und rannte an das offene Fenster, wo massenweise Schneeflocken reinflogen.
Da beugte er sich raus und rief Uli und Behruz zu, sie sollten sich bloà nicht bewegen.
Hätte er nicht zu sagen brauchen.
Uli stand nämlich mittlerweile neben Behruz und weinte auch. Beide hielten sich an einer Hand fest und ich konnte sehen, wie Ulis Beine zitterten.
Da standen sie bestimmt fünf Minuten, während Herr Holm auf sie einredete, sie müssten tapfer sein, gleich käme Hilfe. Herr Bartel stand wieder unten auf dem Schulhof und rannte zwischen den anderen Lehrern hin und her und Susanne rannte hinter Herrn Bartel hin und her und es war das totale Durcheinander.
Dann hörte man das Heulen vom Feuerwehrwagen, das immer lauter wurde, und dann ging alles wahnsinnig schnell. Der Wagen schlitterte mit Blaulicht über den Schulhof und Feuerwehrmänner sprangen raus. Ein paar spannten ein riesiges Sprungtuch auf, genau unter Behruz und Uli, und ein paar andere begannen die Feuerwehrleiter
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