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Dirty Old Town: Ein Wyatt-Roman (German Edition)

Dirty Old Town: Ein Wyatt-Roman (German Edition)

Titel: Dirty Old Town: Ein Wyatt-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Garry Disher
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bewegte sich nicht im Ansatz auf diesen Wert zu.
    Vielleicht eines der Papiere an sich nehmen, mal schauen, ob Henri einen guten Preis machte ... Ein Papier mit einem Nennbetrag von fünf Millionen Pfund hatte umgerechnet einen Wert von etwa zwölf Millionen australischen Dollar. Sollte Henri den Richtigen auftreiben können, jemanden, der bereit wäre, zwanzig Cent pro Dollar zu zahlen ...
    Besser noch, man schlug alle Papiere los. Stellte Alexander kalt. Er hatte längst Maßnahmen ergriffen, um sich von dem Russen unabhängig zu machen. Das gesamte letzte Jahr hatte Le Page im Schatten der Pyrenäen gelebt, doch Alexander glaubte noch immer, er pendele von Marseille aus. Welche Ironie, Alexanders ureigene Schutzmaßnahmen waren Le Page dabei eine Hilfe: Für seine Kommunikation nutzte der Russe ausschließlich E-Mails, Einweghandys und Kleinanzeigen in Zeitungen. Er kann mich gar nicht finden, stellte Le Page fest, und sollte man ihn verhaften, kann er mir die Polizei nicht auf den Hals hetzen.
    Der Sonntag verstrich. Le Page konzentrierte sich nur auf zwei Fragen: Warum wollte der Russe, dass sein Kurier eine Woche lang untätig herumsaß, und warum nur so wenige Wertpapiere?
    Das soll Alexanders letzter großer Streich werden, so Le Pages Schlussfolgerung. Der Russe beabsichtigte, zu verschwinden, einen kleinen Prozentsatz der Papiere zu opfern und zurückbliebe ein Sündenbock.
    Le Page tätigte einige Telefonate. Er nahm die Papiere, seinen Laptop und Garderobe zum Wechseln, packte alles zusammen und flog auf die Kanarischen Inseln. Und er verfolgte die Nachrichten.
    Am Montag dann ein Lächeln. Berichten aus Rio, Neu-Delhi, Kapstadt und Los Angeles zufolge hatte man Alexanders Kuriere festgenommen.
    Am Dienstag dann ein Grinsen: Alexander war tot, erschossen von der Pariser Polizei.
    Eine tiefe Ruhe breitete sich in Le Page aus. Er fühlte sich auf wunderbare Weise frei. Dennoch rief er einen seiner Nachbarn an, einen alten Schäfer, der ihm versicherte: »Da war niemand Fremdes in der Nähe Ihres Hauses, Monsieur.« Le Page flog nicht zurück nach Hause. Er bat den Schäfer, das Landhaus im Auge zu behalten, und verschickte eine verschlüsselte E-Mail in eine Ecke der Welt, wo man vielleicht noch nichts von den Wertpapieren und den Kurieren Alexanders gehört hatte.

    6

    Während Le Page Pläne schmiedete, verbrachte Wyatt seine Tage in Zurückgezogenheit, dachte nach, ging spazieren, saß herum.
    Er sprach nur selten. Eine knapp formulierte Bitte an die Adresse einer Verkaufskraft oder an die Bedienung in einem Café, ein Nicken, um einen Nachbarn zu grüßen, mehr nicht. Wyatt war kein typischer Bewohner von Southbank, aber genauso wenig fiel er aus dem Rahmen. Da waren einige asiatische Studenten, eine Handvoll dynamischer Rentner um die sechzig, aber die meisten seiner Nachbarn waren jung, hatten neben einer Hochschulausbildung nur das Interesse, möglichst schnell möglichst viel Geld zu verdienen. Sie machten einiges locker, um an Kursen für Vermögensbildung teilzunehmen oder an Seminaren mit dem Titel »Nehmen Sie Ihr Geld selbst in die Hand«, arbeiteten bei Maklerfirmen, im Einzelhandel oder bei IT-Unternehmen, liebten es, in Designerklamotten durch die Klubs zu ziehen oder Rad zu fahren, sie zogen sich Kokain rein und glaubten, das gebe ihnen eine gefährliche Note. Sie waren erfolgreich und meinten, es stehe ihnen zu. Sie bezogen ein elegantes Apartment, blieben eine Weile und zogen weiter. Sie sprachen nicht miteinander. Sie nahmen keinerlei Notiz von Wyatt. Sie waren viel zu sehr auf sich fixiert, um zu bemerken, dass er älter war, den Fitnessraum nicht nutzte, dass er keinen BMW fuhr. Er war nur irgendein Typ.
    Die Woche verging. Ab und an kochte Wyatt selbst, meistens jedoch aß er irgendwo in Southbank. Anschließend schlenderte er zurück zu seinem Apartment und saß einfach nur da, hörte mitunter Jazz, konzentrierte sich auf die Musik, auf seinen Körper und sein Leben. Nachdem der Boden zu heiß für ihn geworden war, hatte er sich für einige Jahre zurückgezogen und keinerlei Vorstellung gehabt, was er bei seiner Rückkehr erwarten konnte. Aber er stellte fest, dass noch immer Geld zu holen war, trotz der Rezession, und dass die meisten seiner alten Bekannten tot waren oder im Gefängnis.
    Manchmal stand er am Fenster, einen Drink in der Hand. Sein Blick erfasste die anderen Apartmentgebäude und dahinter, auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses, Baukräne, die sich wie mit

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