Dirty Old Town: Ein Wyatt-Roman (German Edition)
unberechenbar sein. Er war ein Krimineller alter Schule: Geld, Juwelen und Gemälde.
Dergleichen ging Wyatt durch den Kopf, während er seine Pistole reinigte oder am Fenster stand und beobachtete, wie sich die Dämmerung davonstahl. Das Problem: Die technischen Möglichkeiten hatten ihn überflügelt. Er besaß nicht die Fähigkeiten, Hightechsicherheitsanlagen zu umgehen oder elektronisch geführte Transaktionen zu manipulieren, und er war mehr als nur skeptisch, mit jemandem gemeinsame Sache zu machen, der dazu in der Lage war. So viel zum Stand der Dinge — er war also gezwungen, sich auf kleine Raubüberfälle und Einbrüche zu beschränken.
Aber es ging um mehr als den technologischen Fortschritt. Einer der wesentlichen Faktoren für Wyatt war die Ware an sich — nicht nur ihr Wert oder wie man ihn erkannte, sondern auch ihre Größe und ihr Gewicht. Geldbündel waren unhandlich, Schmuckstücke aus Gold und Silber wogen einiges und ein Gemälde ließ sich nicht so einfach in die Tasche stecken. Außerdem konnten kostbare Edelsteine an Wert verlieren, die meisten Gemälde von Bedeutung waren in nationalen oder internationalen Verzeichnissen gelistet, und die Polizei wusste, wie man Seriennummern gestohlener Banknoten verfolgt.
Und dazu die Probleme, wenn man ein gutes Team zusammenzustellen hatte, es finanzieren und ausrüsten musste, wenn man es mit geschädigten, unberechenbaren Charakteren zu tun bekam und die Beute versilbern wollte, ohne über den Tisch gezogen zu werden.
Jeder andere hätte sich vielleicht gesagt: »Wird Zeit, dass mir das Glück mal günstig ist«, aber Wyatt setzte nicht auf das Glück, sondern nur darauf, Gelegenheiten beim Schopfe zu packen.
Wie seinerzeit in Tasmanien.
Er hatte gerade am Fenster eines Heimatmuseums gestanden, die Bank der Kleinstadt auf der anderen Straßenseite im Visier, als ein alter Farmer hereinspaziert war und eine rußgeschwärzte Geldkassette auf den Schreibtisch des Museumsdirektors knallte. »Ich habe eine Ruine abgerissen und das hier im Kamin gefunden«, legte der Farmer los. »Dachte, Sie würden sich das gerne — »
»Tut mir leid«, sagte der Museumsdirektor, »aber wir haben ähnliche Kassetten in gut erhaltenem Zustand.«
»Nicht die Kassette, sondern das, was drin ist.«
Wyatt ging näher heran, betrachtete eine Glasvitrine, in der Hutnadeln und Fingerhüte, silberne Pillendosen, gravierte Eier von Emus und Medaillen aus dem Burenkrieg ausgestellt waren. Aus den Augenwinkeln beobachtete er, wie der Farmer den Inhalt der Geldkassette auskippte.
Der Museumsdirektor starrte darauf. »Sind das irgendwelche Urkunden?«
»Geldscheine«, erwiderte der Farmer. »Fünfzehn Stück.«
Der Museumsdirektor nahm einen und hielt ihn ins Licht. Selbst aus einiger Entfernung konnte Wyatt den noch satten grünen Farbton und die Schriftschnörkel erkennen.
»Bank of Van Diemen’s Land«, las der Museumsdirektor, »ein Pfund Sterling.«
»Aus dem Jahre 1881«, sagte der Farmer. »Wär das was für Sie?«
»Nun, ja, ja, schon«, sagte der Museumsdirektor mit gedämpftem Enthusiasmus. »Ich könnte mir vorstellen, sie in unserer Dauerausstellung zu präsentieren. Wir haben Münzen aus der Kolonialzeit und einige Stücke prädezimaler Währung, aber keine Banknoten aus der Zeit vor der Föderation.«
Sie besiegelten es mit einem Handschlag. Wyatt ließ die Bank Bank sein. Nach Einbruch der Dunkelheit ging er zurück zum Museum. Es gab keine Sicherheitsvorkehrungen: Der Direktor des Museums, ein pensionierter Volksschullehrer, hatte die Banknoten in eine verschlossene Schublade gelegt. Wäre er Wyatt gewesen, hätte er gewusst, dass jeder einzelne Geldschein einen Wert von fünfundzwanzigtausend Dollar besaß. Wyatt ließ alle fünfzehn mitgehen, dazu noch ein wenig Tinnef, den er später in einen Abfallbehälter warf. Im Laufe der Jahre verkaufte er einen Schein nach dem anderen, immer in einer Stadt auf dem australischen Festland, manchmal bediente er sich dabei der Geschichte des Farmers, ein andermal gab er sich als Sammler aus. Misstrauen oder Fragen begegneten ihm nie, also ging er davon aus, dass sich im Polizeirevier der Kleinstadt längst der Staub auf ein Protokoll über den Einbruch in das Museum gesenkt hatte.
Wyatt besaß noch ein paar dieser Banknoten. Sie lagen in einem Bankschließfach in Darwin. Wie gern wäre er noch einmal auf eine solche Geldkassette gestoßen. Worauf er aber wirklich gern stieße, wäre eine gut erhaltene
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