Dirty Old Town: Ein Wyatt-Roman (German Edition)
einer Schablone gezeichnet vom Himmel abhoben. Er fragte sich, ob er alldem hier den Rücken zukehren solle. Er brauchte Geld. Er brauchte Anonymität. Beides war Mangelware, und ihn beschlich das Gefühl, er habe seine Schnelligkeit eingebüßt und sein Leben die Überschaubarkeit.
Er war nicht auf der Suche nach Gesellschaft. Die Frauen, mit denen er im Anschluss an einen Job gern seine Zeit teilte, wussten nicht, wer er war oder was er machte. Ihm war klar, dass sie ihn irgendwann emotional nicht mehr zu packen bekämen, und lange bevor das geschah, stellte er den Umgang mit ihnen ein. In seinem Leben kam es nur zu wenig Intimitäten, und wenn, dann mit Fremden.
Während ihm diese Überlegungen Tag für Tag durch den Kopf gingen, beschäftigte er sich mit seiner neuen Pistole. Die fast schon routinemäßige Reinigung hatte etwas Tröstliches. Zuerst zerlegte er die Steyr in ihre wichtigsten Einzelteile: Magazin, Verschlussfanghebel, Schlitten, Griffstück, Federführungsstange und Feder, Lauf. Als Erstes spritzte er Waffenöl in den Lauf. Dann tränkte er ein Wattestäbchen mit Waffenöl und reinigte damit das Griffstück. Genauso verfuhr er mit dem Schlitten, verteilte das Waffenöl großflächig und in jede Fuge. Anschließend wischte er das überschüssige Öl ab und wandte sich dem Lauf zu, indem er eine Messingbürste einführte und sie hin- und herbewegte. Zufrieden mit dem Ergebnis, setzte er die Waffe wieder zusammen. Tief im Innern verspürte ein Teil von ihm Genugtuung angesichts der Leistungsfähigkeit dieser Pistole, die sich in Form und Handhabung ausdrückte.
Eddie Oberin und die Sache mit dem Hafenmeister kamen ihm in den Sinn. Sicher, Eddies Information hatte Hand und Fuß gehabt. Dumm nur, dass eine der Reedereien mit dem Einschalten der Polizei die Sache vereitelt hatte. Eddie hatte sich nicht dazu geäußert, wer ihm den Tipp gegeben hatte, und Wyatt hatte nicht danach gefragt. Eddie kannte eben Leute, darunter auch Juristen, die auf der einen Seite bei Gericht ihren Pflichten als Beamte nachkamen, auf der anderen jedoch Informationen sammelten, die sie für eine Pauschale oder eine prozentuale Beteiligung weitergaben. Sie bekamen Hinweise von Bankkassierern, Croupiers, Taxifahrern, Fitnesstrainern, korrupten Cops, Pfandleihern, leichten Mädchen, Privatdetektiven, Versicherungsvertretern, Immobilienmaklern und von Leuten, die Alarmanlagen und Überwachungssysteme installierten — überhaupt von jedem, der auf eine Gefälligkeit aus war, auf Bares, auf Anerkennung, der sich wichtig machen wollte, indem er Namen fallen ließ, der einen Wink geben wollte.
Zweifellos war eine Menge davon wertlos, Hirngespinste. Einiges, wie die Masche des Hafenmeisters, war stark.
Oder wie die Buchhalterin mit ihrem Wetteinsatz. Laut Eddies Nachrichtendienst besuchte eine bei der Stadt angestellte Buchhalterin mit Vorliebe Pferderennen, mit dabei, in ihrem Wagen, ein Startkapital von zehntausend Dollar. Eines Tages folgte Wyatt der Frau zur Rennbahn in Balnarring, beobachtete, wie sie zwischen den Gummibäumen parkte, den Kofferraum öffnete, in der Nähe des Ersatzreifens hantierte — vermutlich ein eingebauter Safe, dachte er — und einen Umschlag hervorholte. Sie ging zu den Wettschaltern und fing an zu wetten. Sie war eine umsichtige Wetterin. Gewann regelmäßig. Um drei Uhr am Nachmittag ging sie zurück zu ihrem Wagen, öffnete ihn mit der Fernbedienung und verstaute ihren Gewinn. Wyatt wartete, bis sie hinter das Lenkrad glitt, also am schutzlosesten war, schlüpfte auf den Rücksitz und machte das Kinn der Frau mit seiner Pistole und sie selbst mit seiner tiefen, rauen Stimme bekannt.
An einer nicht weit entfernten unbefestigten Straße mit Weinbergen auf der einen und Alpakas auf der anderen Seite ließ er sie aussteigen, fuhr nach Frankston und stellte den Wagen dort ab. In dem Safe befanden sich fünfunddreißigtausend Dollar. Wyatt beteiligte Eddie mit fünf Prozent. Der murrte zwar, aber immerhin hatte Wyatt das ganze Risiko getragen, also beharrte Eddie nicht länger darauf.
»Junge«, sagte er stattdessen, »du solltest bei einem Drogendeal dazwischenfunken. Da steckt das große Geld.«
Dann sah er Wyatts kalte Miene und schwieg. Wyatt lehnte es ab, sich mit Drogen oder Drogengeldern zu befassen. Nach seiner Erfahrung gingen Drogenhändler und Lieferanten unkalkulierbare Risiken ein, denn es war sehr viel Geld im Spiel, und waren die Akteure selbst Konsumenten, konnten sie brutal und
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