Dirty Old Town: Ein Wyatt-Roman (German Edition)
aber meistens darauf, in Gesichtern und Körpersprache Ausflüchten und Lügen auf die Spur zu kommen, aber er musste feststellen, dass niemand seine Hand über Eddie hielt, niemand wusste, wo er abgeblieben war. Die Eltern waren tot. Wyatt machte die Schwester in Perth ausfindig, doch die schnitt ihm während seines Anrufs das Wort ab und meinte, sie habe mit ihrem Bruder nichts mehr zu tun und wolle auch nichts mit ihm, mit Wyatt, zu tun haben. Außerdem waren viele seiner alten Kontakte verstorben, weggezogen oder bedauerten es, Eddie Oberin jemals gekannt zu haben.
Aber immerhin, er brachte es zu einer kleine Liste mit Namen, samt und sonders Vornamen: Sherry, Blinda, Lexus, Chelsee, Aymee, Mindi und Khandi. Phantasienamen und Schreibweisen, die schon immer bei Huren und Stripperinnen hoch im Kurs gestanden hatten, die aber heutzutage auch kleinen Mädchen verpasst werden, die irgendwann ehrbare Hausfrauen und Mütter werden sollen. Bewaffnet mit Eddies Foto, sein letztes Bargeld in der Tasche, machte sich Wyatt daran, die Stripschuppen und Bars abzuklappern, wo bereits mittags Betrieb war.
Im Laufe dieses langen Tages fand er heraus, dass Chelsee wegen versuchten bewaffneten Raubüberfalls im Gefängnis saß, Aymee und Blinda sich im Schlepptau von Arbeitern befanden, die in Central Australia eine Gaspipeline verlegten. Lexus war ein halbes Jahr zuvor an einer Überdosis gestorben.
Die Verbindung zu dem Streichholzbriefchen hieß Mindi und war Tänzerin im Blue Poles in der Flinders Lane. »Dieser Mistkerl«, sagte sie und gab Wyatt Eddies Foto zurück.
Sie hatte ihre Vorführung für fünf Minuten unterbrochen, um zwischen den Gästen umherzuwandern. Es handelte sich überwiegend um Fünf- oder Zehndollarkunden und so fühlte sie sich durch Wyatts fünfzig Dollar ermuntert, etwas länger an seinem Tisch zu bleiben. Im Klub herrschte Schummerbeleuchtung, in der Luft lag eine Art feiner Nebel, als hätte sich alles in mikroskopisch kleine Tröpfchen aufgelöst: die Verheißung in Sachen Sex, die verschiedenen Sehnsüchte, die Enttäuschungen. Mindis G-String, ihr Make-up und die künstlichen Brüste ließen Wyatt völlig kalt, also hörte sie nach einer Weile auf, vor ihm herumzuwackeln. »Ein richtiges Arschloch«, sagte sie. »Trinken Sie das noch?«
Er war verpflichtet gewesen, Drinks zu bestellen. »Besteht fast nur aus Wasser«, sagte er.
»Was haben Sie erwartet?«, fragte Mindi, leerte zuerst ihr Glas, dann Wyatts und lutschte anschließend den glatten Eiswürfel. »In diesem Job trocknet man aus«, erklärte sie.
»Meine fünfzig Mäuse haben mir noch nicht viel eingebracht«, bemerkte Wyatt.
Er konnte ohne zu murren tagelang eine Bank ausspionieren, musste er bei anderen Gelegenheiten warten, hatte seine Geduld Grenzen.
»Machen Sie sich nicht gleich ins Hemd.«
»Wie gut kannten Sie Eddie?«
»Gut genug.«
»Und das heißt?«
»Anfang des Jahres habe ich ein paar Wochen mit ihm zusammengelebt, dann hat er sich verdrückt und jemand meinte, dass er wieder mit seiner Ex liiert wäre. Vor zwei Monaten ist er wieder hier reingeschneit. Ich hab versucht, die Sache aufzuwärmen, aber er ist total auf eine andere abgefahren, eine von hier, hat sogar einen flotten Dreier vorgeschlagen ... der Arsch.«
Wyatt sah sich um, sein Blick wanderte durch den schummrigen Raum, kämpfte gegen den Dunst an bei dem Versuch, die Tische nahe der Bühne auszumachen und die in den dunklen Ecken, wo einzelne Männer saßen oder ausgelassene Gruppen aus Frauen und Männern, die sich mit den Tänzerinnen amüsierten. »Welches Mädchen?«
»Khandi.«
»Ist sie hier?«
»Hat sich heute noch nicht blicken lassen.«
Wyatt nickte, nur knapp, kaum wahrnehmbar.
»Wo ich gerade so drüber nachdenke ... «, fügte Mindi hinzu, »... ich hab sie seit ein paar Tagen nicht gesehen.«
»Wissen Sie, wo sie wohnt?«
Mindi betrachtete ihre Fingernägel. Wyatt blätterte noch einen Fünfziger hin.
»Oben.«
Er blickte unwillkürlich zur Decke. »Was ist da oben?«
»Büros. Lagerräume. Und ’ne Wohnung.«
»Khandis Wohnung?«
»Hab ich doch gesagt, oder?«
»Lebt sie mit jemandem zusammen?«
Mindi schüttelte den Kopf und stieß eine wahre Schwade Zigarettenrauch Richtung Bühne aus, wo eine Thai zu einem alten Stones-Titel um die Stange wirbelte. »Wer mit der Schlampe zusammenzieht, hat doch nicht alle Tassen im Schrank.«
»Wieso?«
Mindi zog die Schultern hoch und ihre Brüste gleich mit. »Unberechenbar.
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