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Dirty Old Town: Ein Wyatt-Roman (German Edition)

Dirty Old Town: Ein Wyatt-Roman (German Edition)

Titel: Dirty Old Town: Ein Wyatt-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Garry Disher
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Gesicht erzählte eine andere Geschichte. Er war Buchhalter, Vertreter oder leitender Angestellter, aufgerieben zwischen Job und Familie, und vermutlich hatte er bis in die frühen Morgenstunden getrunken und auf Pferde gesetzt, die stets als Letzter durchs Ziel kamen. Seine Geschichte stand ihm ins Gesicht geschrieben.
    Wyatt beobachtete den Betrunkenen, der wie ein Fremdkörper wirkte, und allmählich nahm ein Plan Gestalt an. Mehr Männer trudelten ein: Ein Junkie, den man beim Handtaschendiebstahl erwischt hatte, zwei alte Stadtstreicher und drei Studenten, frisch von der Sauftour. Wyatt vermutete, dass die Polizei auch Leute aufgelesen hatte, die verdächtigt wurden, an der Schießerei im Gericht beteiligt gewesen zu sein, nur hatte man sie in anderen Zellen untergebracht.
    Die Zeit verstrich. Die meisten Männer sahen harmlos aus, und dennoch vermied Wyatt tunlichst jeden Augenkontakt mit ihnen. Als junger Mann hatte er in einem Militärgefängnis gesessen und schnell gelernt, wie man sich verhielt. Man lächelte nicht. Machte ein unbeteiligtes Gesicht. Schlug jede Zigarette aus oder was einem sonst noch angeboten wurde — es gab nichts für lau. Man sah nicht zu Boden — das wurde als Schwäche ausgelegt. Man bedachte niemanden mit einem harten, gemeinen Blick, denn das bedeutete ein rotes Tuch für Männer, die sich für hart und gemein hielten und meinten, es tagtäglich beweisen zu müssen. Und wurde man angegriffen, musste man umgehend reagieren, den Angreifer außer Gefecht setzen, bevor der die Oberhand gewann.
    Und so hatte Wyatt seine Ruhe, konnte dösen oder Tweedjackett dabei beobachten, wie er seinen Rausch ausschlief.
    Dann sah er verstohlene Bewegungen. Tweedjackett fuhr sich mit der Hand in die Socke, eine schwarze Socke, die über einen spindeldürren Unterschenkel gezogen war.
    Wyatt ging quer durch die Zelle, vorbei an einem gestörten Jugendlichen, der sich ruhelos auf und ab bewegte und unentwegt Selbstgespräche führte, und vorbei an den beiden Stadtstreichern, die auf dem Boden lagen und schliefen. Er hockte sich neben Tweedjackett und murmelte: »Nicht dass die anderen das sehen.«
    Der Mann blinzelte hinter seiner Brille. »Was sehen?«
    Wyatt klopfte gegen einen harten Knöchel. »Den Flachmann, den du da versteckst.«
    »Leck mich.«
    »Ich will deinen Alk nicht«, sagte Wyatt leise. Er deutete auf die anderen in der Zelle. »Aber die da werden ihn dir in Nullkommanichts abnehmen und dir nur so zum Spaß die Zähne eintreten.« Der Mann blinzelte wieder. »Danke«, sagte er und gemeinsam entwickelten sie eine Methode, wie er unbemerkt aus seinem Flachmann trinken konnte. Scotch, meinte er. Fast voll. Die Cops hätten verlangt, dass er seine Taschen leere, dabei aber nicht an seine Socken gedacht. »Willst du ’n Schluck?«
    Wyatt schüttelte den Kopf. »Warum bist du hier?«
    »Ich hab ganz in Ruhe einen getrunken, in einem Pub, und der Wirt hat die Polizei alarmiert, meinte, ich hätte randaliert, was aber totaler Schwachsinn ist. Ich habe mich nur um meine Angelegenheiten gekümmert.« Wyatt wusste, dass noch mehr hinter der Geschichte steckte, aber es interessierte ihn nicht. Anders das Jackett. Die Brille. Der Name des Typen.
    »Parker«, sagte der Mann und streckte Wyatt eine schmale, weiße Hand entgegen.
    »Freut mich«, sagte Wyatt.
    Die Zeit verging, Parker trank seinen Scotch und bald schon fiel Wyatt auf, dass sie vom anderen Ende der Zelle beobachtet wurden. Mit Unschuldsmiene kam der Säufer aus der Gasse zu ihnen herübergeschlendert. »Na, Jungs«, sagte er und sein Blick irrlichterte über den am Boden sitzenden Parker. Der Säufer setzte sich daneben, rückte Parker auf die Pelle. Wyatt verlegte sich auf flaches Atmen: Die Gerüche der beiden bildeten eine Kombination aus Alkohol, Zigarettenrauch, Dreck, Schweiß und abgestandenem Aftershave.
    »Habt ihr was zu trinken?«
    »Mach ’ne Fliege«, sagte Wyatt ruhig.
    Der Säufer beachtete ihn gar nicht, ging in die Hocke und langte nach dem Flachmann. Einen Moment später lag er zusammengekrümmt am Boden, bewusstlos, und Wyatt spreizte und bewegte seine Finger, um die vorübergehende Gefühllosigkeit loszuwerden.
    Parker murmelte etwas. »Der Mistkerl hat versucht, dich auszunehmen«, erklärte Wyatt.
    Parker lächelte und schlief ein. Nach einer Weile machte sich Wyatt daran, seine Kleidung mit Parker zu tauschen, mit vorsichtigen Bewegungen und keine davon zu viel. Am Ende legte er Parker auf die Seite, damit er

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