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Diva (DE)

Diva (DE)

Titel: Diva (DE) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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Sie hebt den Saum ihres Morgenmantels und geht nach rechts zum Küchentisch. Miss Kathie nimmt das Spitzenhäubchen aus der Schachtel und sagt: »In Zukunft nimmt Mr. Westward Sahne zum Kaffee, nicht Milch.«
    Sie setzt mir das weiße Häubchen auf den Kopf und sagt: »Voilà! « Sie sagt: »Sitzt perfekt.« Miss Kathie drückt das Spitzenhäubchen fest an und sagt: »Das ist Italienisch für prego .«
    Die feinen Stiche der Haarnadeln stechen und bohren in meiner Kopfhaut wie eine Dornenkrone. Das Bild wird langsam schwarz, und im Off hören wir die Haustürklingel.

1. AKT, ELFTE SZENE
     
    Wenn Sie mir gestatten, kurz aus meiner Rolle herauszutreten und ein paar Bemerkungen zu einem ganz anderen Thema zu machen. Ich würde gern etwas zum Prinzip des Equilibriums sagen. Oder des Gleichgewichts, wenn Ihnen das lieber ist. Die moderne medizinische Wissenschaft sagt, der Mensch sei vorherbestimmten, ausgleichenden Relationen von Größe und Gewicht, Männlichkeit und Weiblichkeit unterworfen, und an diesen festgelegten Verhältnissen herumzupfuschen führe in die Katastrophe. Als zum Beispiel RKO Radio und Monogram und Republic Pictures damit anfingen, einigen ihrer eher verweichlicht wirkenden Schauspieler Injektionen mit männlichen Hormonen vorzuschreiben, um ihnen zu einem etwas dominanteren Auftreten zu verhelfen, hatte das die ungewollte Nebenwirkung, dass diese Helden Brüste bekamen, die größer waren als die von Claudette Colbert und Nancy Kelly. Wie es aussieht, steigert der menschliche Körper, wenn man ihm zusätzliches Testosteron zuführt, die Östrogenproduktion, um das ursprüngliche Gleichgewicht zwischen männlichen und weiblichen Hormonen wiederherzustellen.
    Aus dem gleichen Grund nimmt eine Schauspielerin, die sich auf ein Gewicht weit unter ihrem Normalgewicht heruntergehungert hat, danach in kurzer Zeit überdurchschnittlich zu.
    Nach jahrzehntelangen Beobachtungen bin ich zu dem Schluss gekommen, dass jemand, der plötzlich von außen mit Lob überschüttet wird, in seinem Innern eine vergleichbare Menge Selbsthass entwickelt. Die meisten Kinobesucher kennen die schauspielerische Unausgeglichenheit von Frances Farmer , die libidinösen Exzesse eines Charles Chaplin oder Errol Flynn , Judy Garland s Anfälligkeit für chemische Substanzen. Sie alle pflegen lächerlich dick aufzutragen, agieren überspannt bis zum Gehtnichtmehr. Ich vermute, es handelt sich in jedem dieser Fälle schlicht um Anpassungen, die der betreffende Star  – instinktiv auf der Suche nach seinem natürlichen Gleichgewicht  – vorgenommen hat, um der enormen positiven öffentlichen Aufmerksamkeit etwas entgegenzusetzen.
    Ich bin weder Krankenschwester noch Gefängniswärterin, weder Kindermädchen noch Au-pair, doch in den Zeiten, als meine Miss Kathie die höchste Gunst des Publikums genoss, war es immer meine Aufgabe, sie vor sich selbst zu schützen. Oh, die Überdosen, die ich vereitelt habe … die betrügerischen Grundstücksinvestitionen, vor denen ich sie bewahrt habe… die höchst unpassenden Männer, die ich vor ihrem Haus weggeschickt habe … das alles nur, weil von da an, wo die Welt einen Menschen für unsterblich erklärt, dieser Mensch alles daransetzen wird, der Welt zu beweisen, dass sie unrecht hat. Begeisterte Presseartikel und Besprechungen bringen die gefeiertsten Frauen dazu, dass sie Abmagerungskuren machen oder sich mit Messern ritzen oder vergiften. Oder sie finden einen Mann, der das nur zu gern für sie übernimmt.
     
    Die nächste Szene beginnen wir mit einigen Sekunden vollständiger Dunkelheit. Die Leinwand ist schwarz. Als akustische Überleitung hören wie noch einmal die Türklingel. Wenn es hell wird, sehen wir die Haustür von innen, vom Vorsaal aus, und auf das Fenster neben der Tür fällt der Schatten einer Gestalt, die draußen steht. Im hellen Spalt Sonnenlicht unter der Tür sehen wir die Schatten von zwei Füßen, die sich unruhig bewegen. Wieder läutet die Klingel, und jetzt komme ich ins Bild; ich trage das schwarze Kostüm, die Latzschürze und das weiße Spitzenhäubchen. Die Klingel läutet ein drittes Mal, und ich öffne die Tür.
    Im Vorsaal riecht es nach Farbe. Das ganze Haus riecht nach Farbe.
    In der offenen Tür steht eine Gestalt, vom gleißenden Tageslicht grell von hinten belichtet. Von unten aufgenommen, erinnert der bedrohlich aufragende, leuchtende Besucher an einen Engel mit gefalteten Flügeln und einem flammenden Heiligenschein um den Kopf. Dann

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