Diva (DE)
tritt die Gestalt ins Hauptlicht. Im Rahmen der offenen Tür steht eine Frau in weißem Kleid, ein kurzes weißes Cape um die Schultern, weiße orthopädische Schuhe an den Füßen. Auf ihrem Kopf sitzt eine gestärkte weiße Mütze mit einem großen roten Kreuz. In den Armen wiegt die Frau einen Säugling, der in eine weiße Decke gewickelt ist.
Diese strahlende Frau in Weiß mit dem rosa Baby im Arm ist das genaue Gegenteil von mir: Ich trage Schwarz und halte eine Bronzestatue, die in ein schmutziges Staubtuch gewickelt ist. Ein Fall von ironischem Parallelismus.
Ein paar Stufen hinter der Frau steht eine zweite, eine Nonne in schwarzer Tracht und Schleier, in ihren Armen ein Baby so blond wie eine Miniaturausgabe von Ingrid Bergman. Seine Haut so rein wie die einer winzigen Dorothy McGuire . Was Walter Winchell ein »goydiges Kerlchen« nennt.
Auf dem Bürgersteig steht eine dritte Frau in Tweedkostüm und Handschuhen, ihre Finger liegen um den Griff eines Kinderwagens. Darinnen schlafen zwei weitere Säuglinge.
Die Krankenschwester fragt: »Ist Katherine Kenton zu Hause?«
Die Nonne hinter ihr sagt: »Ich komme vom St. Elizabeth’s Hospital.«
Die in Tweed gekleidete Frau auf dem Bürgersteig sagt: »Ich komme von der Vermittlungsagentur.«
Aus einem Taxi am Bordstein steigt eine zweite Krankenschwester mit einem Baby. Hinten kommt noch eine Schwester mit einem Baby in den Armen um die Ecke. Und dahinter sehen wir eine zweite Nonne mit noch einem rosa Bündel auf das Stadthaus zukommen.
Im Off hören wir die Stimme von Miss Kathie: »Sie sind gekommen…« Und im Gegenschuss sehen wir sie die Treppe aus dem ersten Stock heruntersteigen, in einer Hand einen Malerpinsel, aus dessen Borsten langsam zähe Tropfen triefen. Miss Kathie hat die Ärmel aufgekrempelt, sie trägt ein weißes Herrenfrackhemd mit dem eingestickten Monogramm ihres vierten »Verflossenen« auf der Brusttasche, O. D. , Oliver »Red« Drake, Esq. , das ganze Hemd mit rosa Farbe bekleckert. Ein Kopftuch soll ihre Haare schützen, einer ihrer Filmstarwangenknochen ist rosa beschmiert.
Im Haus riecht es nach Lack, scharf und beißend wie eine gigantische Maniküre im Gegensatz zu dem Duft von Körperpuder und Sonne auf der Türschwelle.
Miss Kathies Füße kommen die letzten Stufen herunter, rosa tropft es hinter ihr her. Unter ihrer bis zum halben Unterschenkel aufgerollten blauen Drillichhose trägt sie weiße Söckchen, die in abgestoßenen Halbschuhen verschwinden. Sie sieht die Schwester an, ihre veilchenblauen Augen zucken zwischen dem glucksenden rosa Waisenkind und dem Pinsel in ihrer Hand hin und her. »Hier«, sagt sie, »wenn Sie bitte … ?« Und meine Miss Kathie hält der Schwester den von rosa Farbe triefenden Pinsel vor die Nase.
Die zwei Frauen treten nah aneinander heran, als wollten sie sich mit Wangenküssen begrüßen, und tauschen das gewickelte Bündel gegen den Pinsel ein. Der weiße Schwesternkittel rosa bekleckst von der Berührung mit Miss Kathie. Die Schwester mit dem klebrigen Pinsel in der Hand.
Die Arme um den Findling geschlungen, tritt Miss Kathie zurück und stellt sich vor den großen Spiegel im Vorsaal. Darin sieht sie aus wie Susan Hayward oder Jennifer Jones in Die heilige Johanna oder Das Lied von Bernadette , eine strahlende Madonna mit Kind, gemalt von Caravaggio oder Rubens . Meine Miss Kathie greift sich mit einer Hand in den Nacken, schlingt einen Finger durch den Knoten des Kopftuchs und zieht es sich vom Kopf. Sie lässt das Tuch auf den Fußboden fallen und schwenkt den Kopf hin und her, bis das kastanienbraune Haar sich weich und breit wie ein Schleier um ihre Schultern legt. Das weiße Hemd spannt sich um ihre Brüste, ein schöner Rahmen für das winzige Neugeborene.
»Was für ein pièce de résistance «, sagt Miss Kathie und reibt ihre Nase am Näschen des kleinen Waisen. Sie sagt: »Das ist Italienisch und bedeutet so viel wie das deutsche Ggemuütlichkeit .«
Miss Kathies veilchenblaue Augen werden groß und größer, treten hervor wie bei Ruby Keeler in ihrer Rolle als Jungfrau neben Dick Powell unter der Regie von Busby Berkeley . Ihre langen Filmstarhände, ihre Wangen nur verunstaltet von den blassen Stigmata rosa Farbe. Ihre Augen in ihr Spiegelbild gekrallt, dreht Miss Kathie sich drei Viertel nach links, dann nach rechts, macht dabei jedes Mal die Augen halb zu und bewegt den Kopf zu einer leichten Verbeugung. Sie verbeugt sich noch einmal von vorn, ihr Lächeln dehnt
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