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Diva (DE)

Diva (DE)

Titel: Diva (DE) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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Wimpern klimpern, das Filmstarkinn senken, Gefühle in Gegeneinstellung mimen, in den Spiegel sprechen: »Ja, sie ist entzückend . Darf ich Ihnen meine Tochter vorstellen: Katherine Jr.«
    Sie sagt dem Spiegel: »Das ist mein Sohn: Webster Carlton Westward der Vierte .« Sie wiederholt diese Dialogzeile mit jedem einzelnen Kind, ehe sie es der Schwester, der Nonne, der wartenden Fürsorgerin zurückgibt. Vergleicht Farbtöne und Stoffmuster. Sucht jedes Kind nach Narben oder sonstigen Fehlern ab. Und für jeden Säugling, den Miss Kathie fortschickt, reihen sich zwei weitere in die Schlange der Prüflinge ein.
    Bis in den späten Nachmittag hinein rezitiert sie: Kläff, gluck, i-aah  … Katherine Kenton Jr.
    Oink, quack, muh  … Webster Carlton Westward IV .
    Immer wieder diese Szene, stundenlang diese Probeaufnahmen, bis die Straßenlaternen flackern und blinken, aufflammen und leuchten. Die Verkehrsgeräusche auf der Straße verebben. Gegenüber, in den Fenstern anderer Häuser, gleiten die Vorhänge zu. Und schließlich liegt sie ohne Waisen da, die Treppe zu Miss Kathies Haus.
    Im Vorsaal bücke ich mich und hebe das Kopftuch auf, das auf den Boden gefallen ist. Alles mit rosa Farbe bekleckst, verschmiert und angetrocknet, die Tropfen bilden einen blassen rosa Pfad, einen Strom aus rosa Punkten, der die Stufen hinunter auf die Straße führt. Die Spur der Ausgemusterten.
    Am Bordstein fährt ein Taxi vor. Der Fahrer öffnet seine Tür, steigt aus und macht den Kofferraum auf. Er nimmt zwei Koffer heraus und stellt sie auf den Bürgersteig, dann öffnet er die hintere Taxitür. Ein Fuß erscheint, ein Herrenschuh, der Aufschlag eines Hosenbeins. Eine Männerhand packt die Taxitür, am kleinen Finger glänzt ein goldener Siegelring. Ein Haarschopf taucht aus dem Taxi auf, Augen, hellbraun wie Rootbeer. Ein Lächeln blitzt, hell wie Feuerwerk am Vierten Juli.
    Ein Prachtstück mit den breiten Schultern eines Dan O’Herlihy , den schmalen Hüften eines Marlon Brando , den langen Beinen eines Stephen Boyd , dem schneidigen Lächeln eines Joseph Schildkraut in der Rolle des Robin Hood .
    Im Gegenschuss stürmt meine Miss Kathie zur Haustür und ruft: »Oh, mein Liebling …« Ihre ausgestreckten Arme, ihr vorgereckter Busen, erinnern sogleich an Julie Newmar als Penelope , die den heimkehrenden Odysseus begrüßt. Jane Russell in der Rolle der mit Lancelot wiedervereinten Guinevere . Carole Lombard , die Gordon MacRae in die Arme fällt.
    Edel wie William Frawley als Romeo Montague ruft Webster Carlton Westward III die Treppe hinauf: »Kath, meine Liebste…« Ruft: »Hast du drei Dollar für den Taxifahrer?«
    Der Fahrer steht stoisch wie Lewis Stone , knorplig wie Fess Parker , neben den Koffern. Das Taxi selbst ist gelb.
    Ihr kastanienbraunes Haar flattert hinter ihr her, und Miss Kathie schreit: »Hazie!« Sie ruft: »Hazie, bring Mr. Westwards Gepäck in mein Zimmer!« Die zwei schamlosen Verliebten umarmen sich und pressen ihre Lippen aufeinander, während die Kamera sie ein ums andere Mal umkreist. Überblende zu einem Begräbnis.

1. AKT, ZWÖLFTE SZENE
     
    Erster Akt, zwölfte Szene, beginnt mit einer weiteren Rückblende. Wieder sehen wir Katherine Kenton mit einer glänzend polierten Aschenurne in den Armen. Schauplatz: wieder das schlecht beleuchtete Innere der Kenton-Krypta, überall Spinnweben, die reich verzierte Bronzetür weit aufgestoßen zum Empfang der Trauergäste. In einer Nische im Hintergrund der Krypta stehen im tiefen Schatten diverse Urnen aus Bronze, Kupfer und Nickel. Auf der Urne in ihren Armen lesen wir Oliver »Red« Drake, Esq. , Miss Kathies fünfter »Verflossener«.
    Das war in dem Jahr, als jeder zweite Song im Radio Frank Sinatra s »Bit’n the Dust «, arrangiert von Count Basie, war.
    Meine Miss Kathie umarmt die Urne, hebt sie hoch und hält sie an den schwarzen Schleier vor ihrem Gesicht. Ihre Lippen hinter dem Schleier. Sie drückt einen runzligen Lippenstiftkuss auf den eingravierten Namen und stellt diese neue Urne in die staubige Nische zu den anderen. Zwischen die Flaschen mit Cognac und Luminal . Die unangezündeten Gebetskerzen. Außer ihr spielen in dieser Szene nur noch ich selbst und Terrence Terry mit, und wir zwei stützen Miss Kathie an je einem Ellbogen. Was Louella Parsons »unterstürzen« nennen würde.
    Die Sammlung von Aschenurnen steht zwischen verstaubten kleinen und großen Champagnerflaschen. Gefäße für die Lebenden und die Toten, eingelagert

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