Diva (DE)
mit ihrem ersten eigenen Kind aus dem Staub gemacht und die Schauspielerin wieder einmal einsam zurückgelassen. Gelegentlich kommt vielleicht noch ein Brief oder ein Anruf. Um die Verbindung nicht ganz abreißen zu lassen.
So wie Truman Capote mit Perry Smith und Dick Hickock in Verbindung blieb, als die in der Todeszelle saßen. Auf der Lauer. Capote brauchte noch ein Finale für Kaltblütig .
Jeder größere Verlag in Amerika hat ein Buch in der Schublade, den Vorschuss hat bereits jemand kassiert, irgendein angenehmer junger Mensch, ein gutaussehender, liebenswürdiger Zuhörer, der ein paar Restaurantabende zu einer Enthüllungsbiographie über irgendeinen Filmstar zusammengebastelt hatte und bloß noch die Todesursache brauchte, um das letzte Kapitel abzuschließen. Schon wartete diese Meute von Hintertürhyänen auf den Tod von Mae West . In der Hoffnung auf schlechte Nachrichten riefen sie Lelia Goldoni an. Durchforsteten die Nachrufseiten nach Hugh Marlowe, Emlyn Williams, Peggie Castle und Buster Keaton . Kreisende Geier. Die meisten stoppeln schon Vorworte für Ruth Donnelly und Geraldine Fitzgerald zusammen. In diesem Augenblick sitzen sie am Kamin im Salon von Lillian Gish oder Carole Landis und saugen süffige Anekdoten auf, die sie brauchen, um zweihundert Seiten zusammenzuschustern; ihre Geieraugen speichern jede Geste von Butterfly McQueen , jeden Tick oder Manierismus von Tex Avery , den man dem gierigen Publikum verhökern könnte.
Alle diese zukünftigen Bestseller waren schon gesetzt und warteten nur noch darauf, dass jemand starb.
»Ich kenne Sie, Kath«, sagt Terry, wendet sich ab und stößt Rauch aus. Die abgestandene Kryptaluft geschwängert von Rauch und Modergeruch. Er nimmt den Ehering aus der staubigen Nische und sagt: »Ich weiß, Sie sind süchtig nach Publikum, auch wenn es nur aus einer einzigen Person besteht.«
Irgendwo hocken diese ehrgeizigen Straßenköter – der Laufbursche eines Lebensmittelhändlers, eine junge Frau, die für Meinungsumfragen von Haus zu Haus geht – an einer rostigen Schreibmaschine und hacken in die Tasten. Irgendein von der Welt der Stars und Sternchen faszinierter junger Schönling wird sich Miss Kathies Lebensgeschichte unter den Nagel reißen. Ihren Ruf. Ihre Würde. Und dann beten, dass sie stirbt.
Ich schneide mit dem Diamanten die Sorgenfalten in ihre Stirn. Bringe Miss Kathies Lebensgeschichte auf den neuesten Stand. Ihre Landkarte. Die Annalen von Kummer und Trauer und Narben auf dem Spiegel, Miss Kathies geheimes Gesicht.
Judy Garland , sagt Terry, und Ethel Merman sind nie mehr mit ihrem früheren Stolz und Glanz in der Öffentlichkeit aufgetreten, nachdem Jacqueline Susann sie in Das Tal der Puppen als die fetten, versoffenen, ordinären Figuren Neely O’Hara und Helen Lawson porträtiert hatte.
Als Antwort kreischt der Diamant über das Glas. Das schrille Jammern einer Totenklage.
Terry sinkt auf dem kalten Steinboden auf ein Knie, blickt zu Miss Kathie auf und sagt: »Wollen Sie mich heiraten? Nur damit ich Sie beschützen kann?« Er greift nach ihrer Hand. Er sagt: »Wenigstens bis was Besseres kommt?«
Ein Homosexueller und ein verblasster Filmstar, eine solche Verbindung einzugehen nennt Walter Winchell »kopitulieren«. Terry möchte als emotionaler Leibwächter bei ihr einziehen, als Platzhalter zwischen richtigen Männern.
»So wie Ihr Porträt hier«, sagt Terry und zeigt auf den in Silber gerahmten Spiegel, »wird jeder freundliche junge Biograph nur Ihre Fehler und Makel vorführen, um darauf seine eigene Karriere aufzubauen.«
Wie immer ziehe ich, um Miss Kathies Tränen darzustellen, den Diamanten in geraden Linien nach unten.
Ich schüttle den Kopf. Nein. Nicht noch einmal diese Tortur. Trau niemandem mehr.
Wie immer gehört auch dies zu meinen Aufgaben, nicht zu fest zu drücken, damit der Spiegel nicht zerbricht.
Meine Miss Kathie schiebt eine Hand in den Schlitz einer Pelzmanteltasche, angelt ein rosa Ding heraus und legt es in die staubige Nische. Sie stößt Rauch aus und sagt: »Das werde ich wohl nicht brauchen…« Dieses Ding, das Miss Kathie schon vor so vielen Jahren für immer aufgeben wollte.
Ihr Diaphragma.
Terry steckt ihr den Ehering an den Finger.
Miss Kathie lächelt und sagt: »Ist noch ganz warm.« Sie fügt hinzu: »Der Ring , nicht das Diaphragma .«
Und ich schenke allen noch einmal Champagner nach.
1. AKT, DREIZEHNTE SZENE
Die Szene beginnt mit einer Nahaufnahme von John
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