Diva (DE)

hüpfen. Der Drehbuchstapel neben dem Bett kippt um.
    Im Drehbuch hören wir, während Lillys Astronautenherz immer schneller schlägt und ihr Hammer immer wieder an den Kasten kracht, als akustische Überleitung das Kopfteil von Miss Kathies Bett immer schneller an die Wand schlagen, bis mit einem letzten heroischen Hammerschlag das Licht in der Kapsel flackernd wieder angeht. Das Gehämmer hört auf, die diversen Anzeigen und Lämpchen erstrahlen mit voller Kraft, und in dem kleinen Fenster der Kapsel sehen wir John Glenn , der Lilly einen hochgereckten Daumen zeigt. Tränen des Entsetzens und der Erleichterung strömen über das Gesicht in seinem Astronautenhelm.
    Im Hintergrund der Küche erscheinen zwei behaarte Füße oben auf der Dienstbotentreppe, zwei behaarte Unterschenkel steigen vom ersten Stock herab, zwei behaarte Knie, dann der Saum eines weißen Frotteemorgenmantels. Noch ein Schritt, und der Stoffgürtel erscheint, fest um eine schmale Taille gebunden: links und rechts je eine behaarte Hand. Eine Brust erscheint, auf das Frottee ist ein Monogramm gestickt: O. D. Der Morgenmantel des lange verblichenen vierten »Verflossenen«. Mit dem nächsten Schritt erscheint das Gesicht von Webster Carlton Westward III . Diese hellbraunen Rootbeer-Augen. Ein Lächeln teilt sein Gesicht, reißt seine Mundwinkel auseinander wie einen Theatervorhang, und dann sagt dieses amerikanische Prachtstück: »Guten Morgen, Hazie.«
    Im Drehbuch kämpft sich Lilly Hellman im kalten schwarzen Vakuum am Rumpf der Friendship 7 entlang wieder zur Luftschleuse.
    Prachtstück Webster öffnet einen Küchenschrank und greift nach der Kaffeemaschine. Er zieht eine Schublade auf und entnimmt ihr das Netzkabel. Ihm gelingt das alles beim ersten Versuch, ohne zu stöbern. Er greift ohne hinzusehen in den Kühlschrank und schnappt sich die Kaffeedose. Aus einem anderen Schrank holt er das Morgentablett  – nicht das Silbertablett für den Tee und nicht das Abendtablett. Er weiß ganz offensichtlich, was in diesem Haushalt was ist und wo die einzelnen Gegenstände versteckt sind.
    Dieser Webster C. Westward III scheint eine rasche Auffassungsgabe zu haben. Er ist einer dieser cleveren, immer lächelnden jungen Männer, vor denen Terrence Terry meine Miss Kathie gewarnt hat. Ein Schakal. Eine Elster.
    Webster löffelt gemahlenen Kaffee in den Einsatz der Kaffeemaschine und sagt: »Wenn Sie mir die Bemerkung gestatten, Hazie, wissen Sie, an wen Sie mich erinnern?«
    Ohne vom Drehbuch aufzusehen, wo Lilly in der eisigen Stratosphäre am Ersticken ist, sage ich: Thelma Ritter .
    Ich war Thelma Ritter , bevor Thelma Ritter Thelma Ritter war.
    Wenn Sie sehen wollen, wie ich gehe, beobachten Sie Ann Dvorak in dem Film Housewife . Wollen Sie wissen, wie ich mir Sorgen mache, beobachten Sie, wie Miriam Hopkins in In Freundschaft verbunden die Stirn in Falten legt. Jede Handbewegung, jedes bisschen Körpersprache, das ich zur Vollkommenheit gebracht habe, ist mir von irgendeiner Null gestohlen worden. Pier Angeli s Lachen war ursprünglich mein Lachen. Wie Gilda Gray Rumba tanzt, das hat sie von mir. Wie Marilyn Monroe singt, hat sie sich von mir abgehört.
    Die verdammten Nachahmer. Die Leute können einem Schlimmeres klauen als Geld.
    Klaut man Ihnen eine Perlenkette, können Sie sich einfach eine neue kaufen. Aber klaut man Ihnen Ihre Frisur oder die von Ihnen perfektionierte Kusshand, ist so etwas viel schwieriger zu ersetzen.
    Vor langer Zeit war ich im Filmgeschäft. Lange bevor ich meine Miss Kathie kennengelernt habe.
    Heutzutage lache ich nicht mehr. Ich singe nicht, ich tanze nicht. Küsse nicht. Meine Frisur macht sich selbst.
    Terrence Terry hat Miss Kathie zu Recht gewarnt: Die Welt besteht aus nichts als Geiern und Hyänen, die ihre Zähne in einen schlagen wollen. Sie schnappen nach Herz, Zunge oder den veilchenblauen Augen. Sie wollen unser Bestes zum Frühstück verspeisen.
    Wenn Sie Tallulah Bankhead sehen wollen, nicht nur, wie sie Julie Marsden in Jezebel spielt oder Regina Giddens in Die kleinen Füchse , sondern die echte Tallulah, dann brauchen Sie nur Bette Davis in Alles über Eva zu sehen. Es war Joseph L. Mankiewicz , der die Rolle der Margo Channing nach seiner eigenen Mutter, der Schauspielerin Johanna Blumenau , gestaltet hat, aber es war Davis, die Tallulah so lange beobachtet hat, bis sie alle ihre Gesten nachmachen konnte. Tallulahs Art zu sprechen und wie sie ging. Wie sie einen Raum betritt. Wie Tallulahs Stimme