Diva (DE)

Quadrate eines Schachbretts eingelassen sind. Statt Bauern, Springern und Türmen liegt dort nur ein dicker Packen weißen Papiers. Miss Kathie umklammert den Stapel mit beiden Händen, er ist so dick wie das Drehbuch zu einem Monumentalfilm von Cecil B. DeMille . Eine dunkle Sonnenbrille verbirgt ihre veilchenblauen Augen. Ein Seidenkopftuch von Hermès , unterm Kinn zusammengebunden, verbirgt ihr Filmstarprofil. In den Brillengläsern sehen wir mich in doppelter Ausführung herankommen. Thelma-Ritter -Zwillinge.
    Ich setze mich ihr gegenüber an den Tisch und sage: »Wer will Sie umbringen?«
    Ein uralter Slim Summerville zieht einen Bauern und sagt: »Matt.«
    Im Off hören wir Geräusche aus der weiteren Umgebung, das Klappern von Pferdekutschen auf der Sixty-fifth Street Transverse, das Hupen von Taxis auf der Fifth Avenue.
    Miss Kathie schiebt den Packen Papier über das Schachbrett zu mir hin. Sie sagt: »Das kann man keinem erzählen. Es ist so demütigend.«
    Kläff, oink, kreisch  … Filmstar von Gigolo belästigt .
    Muh, miau, summ  … Vereinsamter alter Filmstar von Mörder verführt .
    Sie sagt, sie hat den Stapel Papier beim Auspacken von Webbs Koffern entdeckt. Er hat eine Biographie über ihre gemeinsame Zeit als Liebespaar geschrieben. Miss Kathie schiebt mir den Stapel hin und sagt: »Lies nur, was er schreibt …« Dann zieht sie den Stapel hastig wieder zu sich zurück, beugt sich weit darüber, sieht sich verstohlen nach beiden Seiten um und flüstert: »Aber die Stellen, wo ich Mr. Westward erlaube, Analverkehr mit mir zu haben, sind absolut frei erfunden.«
    Ein alter Anthony Quinn schlägt auf eine Uhr, hält einen Zeitmesser an und startet den anderen.
    Miss Kathie schiebt den Stapel in meine Richtung, zieht ihn wieder zurück und flüstert: »Und nur damit du’s weißt, die Szene, wo ich in der Toilette von Sardi an Mr. Westward Oralverkehr ausübe, ist ebenfalls glatt gelogen.«
    Sie sieht sich um und flüstert: »Lies es selbst« und stößt den Packen über das Schachbrett zu mir hin. Dann zieht sie ihn wieder zurück und sagt: »Aber glaub ihm kein Wort, wo er schreibt, wie ich unter einem Tisch im Twenty-one diese unaussprechliche Sache mit dem Schirm mache …«
    Terrence Terry hat es vorausgesagt: Ein gutaussehender junger Mann würde in Miss Kathies Leben treten und lang genug bleiben, um ihre Legende zu seinem Vorteil umzuschreiben. Egal wie unschuldig ihre Beziehung wäre, er würde einfach ihren Tod abwarten und dann sein schamloses schmutziges Märchen veröffentlichen. Zweifellos habe ein Verleger bereits einen Vertrag mit ihm abgeschlossen und ihm einen ansehnlichen Vorschuss auf die Tantiemen des künftigen Enthüllungsbestsellers gezahlt. Der größte Teil dieses Machwerks sei sehr wahrscheinlich bereits gesetzt. Der Umschlag bereits entworfen und gedruckt. Nach Miss Kathies Tod würden die dreisten Lügen dieses charmanten Schmarotzers alles, was sie in ihrem Leben Bedeutendes geschaffen habe, unter sich begraben. Genau wie Christina Crawford die Legende von Joan Crawford für alle Zeiten in den Dreck gezogen habe. Wie B. D. Merrill das Ansehen ihrer Mutter, Bette Davis , ruiniert und Gary Crosby die Lebensgeschichte seines Vaters, Bing Crosby , besudelt habe  – genau so wäre Miss Kathie in den Augen von Milliarden Fans erledigt.
    Hedda Hopper spricht grundsätzlich von »Lügographien«, wenn es um solche Schwarten geht.
    Durch die Ahornbäume um den Schachpavillon weht der Wind und lässt Milliarden Blätter applaudieren. Eine verhutzelte Version von Will Rogers schiebt mit seiner alten Phil-Silvers -Hand einen weißen König ein Feld nach vorn. Neben uns berührt ein betagter Jack Willis einen schwarzen Springer und sagt: »J’adoube .«
    »Das ist Französisch«, sagt Miss Kathie, »für tout de suite .«
    Sie schüttelt den Kopf über dem Manuskript und sagt: »Ich habe nicht geschnüffelt. Ich habe nur nach Zigaretten gesucht.« Meine Miss Kathie hebt die Schultern und sagt: »Was können wir tun?«
    Solange das Buch nicht erschienen ist, ist es keine Verleumdung, und Webb hat nicht die Absicht, es vor ihrem Tod zu veröffentlichen. Danach wird sein Wort gegen ihres stehen  – aber dann ist meine Miss Kathie nicht mehr da, eingeäschert und zusammen mit Loverboy und Oliver Drake, Esq. , und den leeren Champagnerflaschen und toten Soldaten in ihrer Krypta beigesetzt.
    Die Antwort ist einfach, erkläre ich ihr. Miss Kathie muss nur lange, sehr lange