Diverses - Geschichten
langsam an ihm herab, an seinem schmutzigen Unterhemd, das er nun schon mehrere Tage trug, der ausgebeulten Jogging Hose, dem unrasierten Kinn und den blutunterlaufenen, geradezu verquollenen Augen. Das wenige schüttere Haar, das ihm geblieben war, klebte fettig an seinem Hinterkopf und das pausbäckige Gesicht zeigte das selbstzufriedene Lächeln, das er sich mit dem Beginn der Rentenzeit und der stetig entwickelnden Vorliebe für Reality-Soaps angewöhnt hatte.
Nein, sie hatte ihm jede Chance gegeben, alles getan, was in ihrer Macht stand.
Henriette schenkte sich ein, nahm ihr Glas, lehnte sich im Sofa zurück und nippte versonnen daran. Ihr Blick fiel auf die einzelne Rose und sie dachte daran, welche Wünsche und Träume sie als junges Mädchen vor ihrer Heirat gehegt und Jahr für Jahr mehr vergessen hatte.
Sie hörte, wie Egon den Fernseher lauter stellte und dachte vage daran, dass sie bald aufstehen und nach dem Braten sehen sollte. Aber noch war es nicht soweit.
Henriette hörte wie das Sofa quietschte, wie Egon sich mit einem Stöhnen vorwärts beugte und einen Blick in die Schüssel warf.
Schwer ließ er sich wieder zurückfallen und warf ihr einen gnädigen Blick zu.
„Also gut“, sagte er dann. „Will ich mal nicht so sein. Gib mir was davon.“
Henriette nickte lächelnd. Oh ja, sie kannte ihren Mann, kannte ihn besser, als er sich selbst. Sie stellte ihr Glas ab, fühlte dass er sie beobachtete, als sie sich ihrerseits vorbeugte und ihm ohne zu kleckern eine weitere Kelle Suppe mit Knödeln in die Tasse gleiten ließ.
Egon rutschte mühsam an den Rand des Sofas, nahm den Löffel ohne seinen Blick vom Fernseher zu wenden, und begann damit hastig und mit vernehmlichem Schlürfen die Suppe zu essen. Mit seiner anderen Hand streckte er Henriette die Bierflasche entgegen. „Hol mir noch eins“, befahl er zwischen zwei Löffeln und während zwei der Figuren auf dem Bildschirm mit Fäusten aufeinander losgingen.
„Aber natürlich“, antwortete Henriette gehorsam, nahm die leere Flasche und begab sich zum Kühlschrank, um eine neue herauszuholen.
Selbst wenn Egon trotz Arterienverkalkung und leicht erhöhtem Blutdruck im Grunde gesund wie ein Fisch im Wasser war, so konnte sie sich doch darauf verlassen, dass seine Geschmacksknospen durch Alkohol, Nikotin und zu scharf gewürztes Essen ausreichend gelitten hatten, um den Geschmack zu verdecken, der nicht wirklich in eine Suppe passte. Auch nicht, wenn man die Freiheiten bedachte, die Henriette gewohnt war, sich seiner Gesundheit zuliebe und gegen seinen Willen zu erlauben.
Sie lächelte, als sie sich vorstellte, wie er wohl sehr bald feststellen musste, dass dieser Hochzeitstag in ihrem Sinn ablief. Nicht mehr lange, und sogar Egon fiele auf, dass ihre Suppe Inhaltsstoffe enthielt, auf die seine Mutter wohl kaum gekommen war.
Allerdings bezweifelte Henriette, dass er diese in Verbindung brächte mit den dekorativen Blumen, die sie neben der Petersilie, dem Thymian und dem Rosmarin auf ihrem Balkon züchtete. Vielleicht, wenn er sich einmal vom Fernseher und seinem Sofa getrennt und etwas frische Luft geschnappt hätte, so wie sie ihn so oft gebeten hatte, vielleicht hätte er dann die Herbstzeitlose oder die verschiedenen Nachtschattengewächse erkannt, denen sie ihre Liebe und Aufmerksamkeit schenkte, damit sie wuchsen und gediehen, bis sie eine von ihnen brauchte.
Doch Henriette bezweifelte das. Egon dachte nicht so viel nach. Sonst hätte er vielleicht gespürt, dass die letzte Chance, die sie ihm gegeben hatte, eigentlich keine mehr war.
Appetitlich
Diesmal musste es klappen. Hilde war fest entschlossen, sich keine Schwäche mehr zu erlauben. Jahr für Jahr das gleiche Spiel. Der Frühling folgte auf einen Winter, in dem sie sich von Festtag zu Festtag gehangelt hatte und in der Zwischenzeit jeden kühlen Luftzug als Ausrede für eine warme Mahlzeit, eine heiße Schokolade oder eine cremige Suppe benutzte. Und mit den ersten warmen Sonnenstrahlen folgte unweigerlich die Ernüchterung, wenn die im vorigen Sommer noch perfekt sitzende Hose auf einmal an den Hüften spannte.
Jedes Jahr von neuem die Garderobe zu erneuern war nicht nur mühsam, sondern auch noch teuer. Und wie Hilde es auch drehte und wendete, die zusätzlichen Pfunde wirkten sich auf ihr Selbstvertrauen alles andere als positiv aus.
Aber damit war nun Schluss. Ab jetzt wurde abgenommen. Und wie.
Hilde hatte nicht vor, sich auch nur eine Schwäche zu erlauben. Nicht
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