Diverses - Geschichten
nichts.“
„Gar nichts“, wiederholte Hilde. „Und warum hast du dann ‚gar nichts‘ mitgebracht?“
Stefan beugte sich vor, griff nach der Tüte und zog aus ihrem Inneren eine zart gelbe Serviette hervor, in die etwas eingeschlagen war.
Sorgfältig platzierte er das betreffende Objekt vor Hilde und begann damit langsam, Ecke für Ecke die Serviette zurückzuschlagen und ihren Inhalt zu enthüllen.
„Und – was ist das jetzt?“, stieß Hilde hervor, während sie versuchte, noch ein Mindestmaß an Würde und Zurückhaltung zu bewahren.“
Stefan sah sie mit einem betretenen Dackelblick an. „Das ist eines der Appetithäppchen, die meine Schwester für ihren Geburtstag zubereitet hat. Ich wollte es dir wenigstens zeigen. Für eines dieser Teile benötigte sie eine halbe Stunde. Du kannst dir vorstellen, wann sie heute früh aufgestanden ist, um mit den Vorbereitungen anzufangen.“
„Deine Schwester ist Küchenchefin“, gab Hilde zu bedenken. „Ganz genau“, stimmte Stefan bedrückt zu.
„Das heißt, sie weiß, wie es geht. Aber das bedeutet nicht, dass sie weniger Zeit und Mühe für ihr mehrgängiges Menü benötigt.“
„Das ist heute?“, fragte Hilde unnötig und auch ein wenig schuldbewusst.
Stefan räusperte sich. „Du hast doch schon vor einer Weile abgesagt“, meinte er dann beinahe entschuldigend. „Was natürlich nicht bedeutet, dass sie sich nicht doch freute, wenn du es dir anders überlegst. Du weißt ja, dass sie immer für mindestens ein Dutzend Leute mehr kocht.“
Hilde beäugte das Appetithäppchen vor ihr, dass, wenn sie ehrlich war, nicht gerade besonders beeindruckend wirkte. Andererseits kannte sie die Kochkünste von Stefans Schwester nur zu gut und wusste, dass sich in den unscheinbarsten Gerichten, die höchsten Gaumenfreuden verbargen.
Sie schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht“, sagte sie mit betont fester Stimme und versuchte ihren Blick von dem Inhalt der Serviette zu wenden. „Und das hier werde ich auch nicht versuchen.“ Sie schüttelte erneut den Kopf. „Und wenn deine Schwester den ganzen Tag damit zugebracht hat, diese Blätterteigkringel zusammenzudrehen, dann solltest du sie ihr nicht wegnehmen und in der Gegend herumtragen.“
Stefan atmete aus. „Diese Festessen sind ein reiner Albtraum für mich“, gab er dann zu. „Und ohne dich werde ich auch nicht gehen. Das weiß sie.“ Er schluckte hörbar.
„Aber das hier musste ich dir einfach zeigen.“
Vorsichtig schob er die Serviette näher an Hilde heran. „Die Füllung besteht aus einer Creme von Wachteleiern, Trüffeln, Sahne und der speziellen Würzmischung, deren Inhaltsstoffe nicht verraten wird.“
Hilde lief das Wasser im Munde zusammen. „Muskat, Ingwer und Chili?“, riet sie und beäugte das Blätterteiggebilde mit neu erwachtem Interesse.
Jetzt bemerkte sie auch den Glanz, den an verschiedenen, delikaten Stellen angebrachtes Eigelb den Spitzen und Kanten des Gebäcks verliehen hatte. Sie sah die helle Creme, die durch die hauchdünne und an manchen Stellen sorgfältig durchbrochene Oberfläche hindurch schimmerte. Und sie konnte sich nur allzu gut vorstellen, welchen Mühen sich die Küchenfee unterzogen hatte. Den Anspruch an Perfektion, den diese an sich selbst stellte, bewunderte Hilde von jeher. Wenigstens was ihre Kunst im kulinarischen Bereich anging.
Ihr äußeres Erscheinungsbild dagegen entsprach zumindest nicht dem aktuellen Schönheitsideal, auch wenn Hilde widerstrebend zugab, dass barocke Formen auch ihre Reize besaßen.
„Ich weiß, woran du denkst“, flüsterte ihr Stefan so plötzlich ins Ohr, dass Hilde zusammenzuckte.
„Was meinst du?“, gab sie irritiert zurück.
Stefan lachte leise. „Mein Schwesterherz ist stolz auf ihre Figur. Sie sagt immer wieder, dass sie Werbung für ihre Kochkunst läuft.“ Er strich Hilde eine feuchte Strähne aus der Stirn und küsste sie leicht. „Man soll sehen, dass sie ihr Leben genießt.“
Hilde schluckte. „Ob stundenlanges Blätterteig-Formen ein Genuss ist, wage ich zu bezweifeln.“
Stefan lachte wieder und nahm das winzige Stück Gebäck zwischen Daumen und Zeigefinger. „Das Ergebnis ist es, was zählt“, bemerkte er dann. „Was für ein Mensch jemand ist, was er schafft, wie viel und wen er liebt.“ Er schüttelte den Kopf. „Purzelnde Pfunde bedeuten nichts. Nur dass sie früher oder später zurückkehren und noch mehr quälen, sinnlos Zeit und Kraft rauben, und schließlich nur eine leere Hülle
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