Diverses - Geschichten
fort, und sie musste ehrlich gestehen, dass sie ihn nicht einmal vermisste. Noch nicht, dachte sie im Stillen. Zur Gewohnheit sollte er sich diese langen Reisen jedoch nicht machen. Es war schon so schwierig, gleichzeitig Mutter und Bürokraft zu spielen. Jede ihrer freien Minuten den Launen der Kleinen zu widmen, trug nicht zu ihrem Wohlbefinden bei.
Doch nun sah sie einem Moment des Friedens entgegen, inmitten der Abgeschiedenheit ihrer vier Wände, angenehm kühler Luft und der kargen Inneneinrichtung, die es ihr erlaubte, die Gedanken schweifen zu lassen, ohne dass sie an einer unnötigen Spielerei hängen blieben.
Corinna sank in die Polster ihrer Couch, und seufzte genüsslich auf. Vor sich hielt sie ein Glas sprudelnden Proseccos, der beinahe ein wenig zu warm war, um perfekt zu sein, doch den kühl zu stellen, ihr die Geduld fehlte.
Sie nippte leicht daran, legte den Kopf zurück und beschloss ihr Strohwitwendasein so angenehm als möglich zu gestalten.
Corinna merkte nicht, wie sie einschlief. Eigentlich döste sie nur, und doch fühlte sie sich im Moment des Erwachens leicht desorientiert.
Sie schrak hoch, verschüttete unbemerkt den Prosecco, der locker auf der Lehne des Sofas ruhte, fing im letzten Augenblick das Glas auf und stellte es zurück auf den hellen Tisch.
Corinna rieb sich die Augen, blinzelte dann, und blickte zur Uhr.
Viel Zeit war nicht vergangen. Was konnte es also sein, das sie geweckt hatte? Keines der Geräusche, die von draußen, aus der Straße, den Gärten oder den sich zusammenballenden Wolken in die scheinbare Sicherheit ihres Hauses drangen, hielten normalerweise die Macht, Corinna aufzuschrecken.
Sie setzte sich auf, und blickte um sich. Nichts hatte sich verändert. Nichts wirkte anderes, als sie es gewohnt war. Und doch stimmte etwas nicht, befand sich etwas in diesem Haus, das ihr Schauer über den Rücken jagte. Etwas Unbekanntes und Bedrohliches, das sie von Sekunde zu Sekunde stärker aufrüttelte.
Und dann hörte sie es, hörte ihn.
Denn es musste sich um einen Mann handeln. Die schweren Schritte, die unter ihr auf dem harten Zement des Kellerbodens klangen, ließen keinen Zweifel.
‚Ein Einbrecher‘, dachte sie und der Gedanke schnürte ihr die Kehle zu. Schlimmer noch, ein Mörder, der ihr Haus beobachtet hatte, die Möglichkeit erkannt.
Eine Frau alleine, ohne Schutz in einem großen Haus, verpflichtet alles zu tun, um ihr kleines Mädchen zu beschützen.
Welch ein leichteres Opfer konnte es geben. Ob es sich nun um einen Wahnsinnigen, getrieben von seinem Durst nach Blut handelte, um einen Vergewaltiger, Kinderschänder oder Verbrecher einer Spezies, an deren Existenz Corinna sich zu denken weigerte – für sie lief es auf dasselbe Ergebnis hinaus.
Corinna kämpfte ihren Schrecken nieder. Sie rutschte vorsichtig bis an den Rand der Sitzfläche, bemühte sich kein Geräusch zu verursachen, als sie sich erhob, als sie in wenigen Schritten den Raum durchquerte.
Wie gut, dass Vorsicht stets ihre oberste Priorität gewesen war. Wie gut, dass sie für alle Eventualitäten vorgesorgt hatte.
Die Geräusche unter ihr waren verstummt, und Corinna stellte sich vor, wie der Mann ein Versteck aufsuchte, sich auf die Lauer legte, sich darauf einrichtete, geduldig abzuwarten, bis seine Zeit gekommen war. Bis die Nacht sich über das Haus gesenkt hatte, und seine Bewohner in tiefem Schlafe lagen, so dass er aus der Tiefe emporsteigen konnte, und sein schmutziges, blutiges Werk beginnen.
Corinna erschauerte. Vorsichtig, langsam und mit zusammengepressten Lippen, sorgsam darauf bedacht, keinen einzigen Laut zu erzeugen, öffnete sie die glücklicherweise perfekt geölte Schranktür.
Sie erhob sich auf ihre Zehenspitzen und griff in die Höhe. In der obersten rechten Ecke, gut versteckt, sicher vor den Händen von Kindern oder unbefugter Personen, dort hatte ihr Mann sie verstaut. Die Waffe, von der Corinna niemals angenommen hatte, dass er sie außerhalb des Schützenvereines gebrauchen konnte, geschweige denn, dass sie selbst jemals das Verlangen verspüren sollte, diese in ihren Händen zu halten.
Nur zur Vorsicht hatte er ihr beigebracht, wie man die Waffe hielt, und wie man sie bediente, und Corinna hatte gelacht, und ihn mit seiner Vorliebe für Wild-West-Geschichten aufgezogen.
Doch jetzt sah alles anders aus. Jetzt war sie die Einzige, der es oblag ihren eigenen Grund und Boden zu verteidigen. Und den Besitz ihres Gatten, sowie das Leben und die Sicherheit
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