DJ Westradio
allerlei »Geschäftchen« gegen D-Mark abwickelten. Dann gab es die, die im »Ex« und im »Deli« einkauften, meist höhere SED-Bonzen und Frauen von Autoschlossermeistern. Die Masse der Menschen kaufte in den normalen Kaufhallen ein, im »HO« oder im »Konsum«. Die Grenzen zwischen den Konsumklassen waren hierbei fließend.
Wo ich gerade beim Einkaufen bin: Alle in der DDR wußten, daß eine Menge Waren hergestellt wurden, die in den Export gingen, und zwar ins »Nichtsozialistische Wirtschaftsgebiet«. Produkte, die die DDR-Bürger gerne gekauft hätten, wenn sie denn bis in die eigenen Läden gekommen wären. Halboffizielle Ausrede unseres Staatsbürgerkundelehrers war, daß die DDR ein rohstoffarmes Land sei und viele Devisen für den Import wichtiger Güter brauche. Ostdeutschland fungierte also damals schon für Westdeutschland als Billiglohnland. Zum Beispiel waren die Elektrogeräte der Marke »Privileg« aus dem Quelle-Katalog »Made in GDR«. Ecki, der Sohn unserer Nachbarn, hatte einen Klassenkameraden, dessen Vater für »Privileg« arbeitete. Ein echtes Privileg. Von dem bekamen wir die kleinen »Privileg«-Aufkleber, die normalerweise an Kaffeemaschinen und Kassettenrekordern klebten. Wir brauchten sie, um an Eckis Ostautorennbahn Westwerbung an den Leitplanken zu befestigen, damit es ein bißchen mehr nach Formel 1 aussah.
Wie groß die Ausmaße der Export-Produktion waren, konnte man damals nur erahnen. In den offiziellenMedien erfuhr man darüber nichts Konkretes. Ein ganz kleiner Teil dieser Produktion landete aber manchmal auch im normalen Handel und, nachdem die Verkäufer alle Bekannten und Verwandten mit den begehrten Artikeln versorgt hatten, sogar in den Schaufenstern. Meine Eltern erwischten zum Beispiel einmal durch Zufall in einem Lampenladen gleich bei uns um die Ecke eine nagelneue schöne weiße Stehlampe für mein Kinderzimmer. Die war von IKEA, und auf einem Aufkleber stand »Made in GDR«. Eine IKEA-Lampe für DDR-Geld! Manchmal frage ich mich, ob die DDR nicht doch ein Land der unbegrenzten Möglichkeiten war.
Haben Sie Werbematerial?
Alle Kinder und Jugendlichen der Stadt interessierten sich für die Leipziger Messe. Das heißt, um ehrlich zu sein, interessierten wir uns eigentlich nur für die dort ausstellenden Westfirmen. Und da wollten wir auch nicht wissen, was die für tolle Maschinen erfunden hatten, sondern wir wollten Werbematerialien. Denn die wurden verschenkt. Westsachen umsonst. Zur Messewoche rannten darum Massen von Schülern nach Schulschluß auf die Messe, um an unzähligen Westständen anzuklopfen und zu fragen: »Haben Sie Werbematerial?« Die etwas frecheren Schüler schwänzten gleich und gingen schon vormittags.
Auf die Messe durfte man aber erst, wenn man 14 Jahre alt war. Sah man als Zwölfjähriger älter aus, war das kein Problem. Man konnte sich einen Messeausweis kaufen und kam gut durch den Einlaß. Was aber sollte mit mir sein, der ich mit zwölf Jahren beim besten Willen einfach noch nicht älter aussah? Es gab noch eine andere Möglichkeit: Das Technische Messegelände war groß, der Zaun drum herum alt und stellenweise aus Holz. Tino, ein messeerfahrener Mitschüler, nahm mich einmal mit. Wir schlüpften in ein Gebüsch an der Richard-Lehmann-Straße, und auf der anderen Seite stiegen wir durch den löchrigen Zaun. Dann ein kurzer Sprint über ein Freigelände, auf dem Güterwaggons ausgestellt waren, und schwups in die nächstbeste Messehalle. Zuerst ein kurzes Abchecken der Stände.Hier waren nur Ostfirmen, also gingen wir sofort in die nächste Halle. Endlich waren wir fündig geworden. Man sah es schon an der Standgestaltung – hier waren wir im Westen. Eine ganze Halle voll Westen. Und in der Nachbarhalle auch. Überall Geschäftsleute und Standhilfen mit dem schönen westdeutschen Dialekt. Es roch ein wenig nach Intershop. Wo man hinschaute, westdeutsche Firmenlogos. Bekannte Namen wie Krupp, Mannesmann, Linde und so weiter. Keiner von uns kannte hingegen »FAG«. Aber die verteilten immer schöne bunte Aufkleber. Eine Firma, die Kopierer präsentierte, rückte manchmal Plaketten mit der Aufschrift »OCÉ« raus. Keiner wußte, was das bedeutete, aber dennoch trugen unzählige Kids in Leipzig diese Buttons an den Jacken.
In der Schule hatten wir von Mitschülern bereits Tipps bekommen, bei welchen Firmen es was zu holen gab. Am wenigsten interessierten uns Werbeprospekte. Die waren zwar schön bunt, aber mit Fachinformationen über
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