DJ Westradio
andere Geräusche als in den übrigen Geschäften. In der DDR gab es nur ratternde mechanische Kassen. In den Intershops standen hingegen elektronische Kassen, die nicht ratterten, sondern bei jeder Eingabe leise piepsten, wie das eben nur Westkassen machen. Das Dritte war das Beeindrukkendste für mich: Hier konnte man den Westen nicht nur sehen und hören. Man konnte ihn vor allem riechen: Persil-Waschmittel, Lux-Seife, Irish-Moos-Rasierwasser, Jacobs-Kaffee, Milka-Schokolade, Meister Proper. Diese und viele, viele andere Produkte ergaben zusammen einen Geruch, der mir bis heute im Gedächtnis ist – und den ich übrigens nach der Wende vergebens in den Geschäften gesucht habe. Im Westen von heute riecht es nirgendwo nach dem Westen der Intershops. Schade.
Neben Lebensmitteln und Drogerieartikeln konnte man auch Westklamotten bekommen, Levis-Jeans und so weiter. Auch gab es in einigen Shops Radios, Fernseher, elektrische Rasierapparate, Matchbox-Autos, Rauhfasertapeten und sogar Türklinken – alles Westwaren.
Von den Süßigkeiten und den Kassettenrekordern war ich ja schon schwer begeistert. Aber ab Mitte der 80er Jahre wurde das Sortiment in einigen Intershops noch um Waren erweitert, wie ich sie bislang wirklich nur aus dem Westfernsehen und aus Werbeanzeigen in Comics kannte. Westprodukte meiner Begierde, die transportbedingt der Besuch von drüben nicht mitbringen konnte: Dr.-Oetker-Eis. Unglaublich, aber wahr: Eis aus dem Westen hier bei uns, die kleinen eingepackten Eistüten und auch die großen Familienpackungen. Ich war ein besonderer Fan von Pistazien-Eis und wünschte mir gleich eine Ein-Liter-Packung zu Weihnachten. Meine Eltern machten mich dann bei der Bescherung darauf aufmerksam, daß ich ein bestimmtes Geschenk gleich als erstes aufmachen solle – weil es schnell wieder ins Tiefkühlfach müsse. So konnte ich mir immer besser vorstellen, wie es wohl im richtigen Westen schmecken würde.
Eine Oase fernab der DDR-Realität waren außerdem die Interhotels. Konnte man hier im Gegensatz zu den Intershops auch in DDR-Mark bezahlen, so waren sie dennoch in erster Linie für die westlichen Besucher konzipiert und dementsprechend luxuriös. Die Leipziger Interhotels mit solch schönen Namen wie »International« oder »Astoria« wurden 1981 um einen Bau der Superlative erweitert: das Fünf-Sterne-Interhotel »Merkur« unweit des Hauptbahnhofes. Dieses 24geschossige Gebäude wurde komplett von einer japanischen Firma errichtet, und seine hellorange gekachelte Fassade leuchtete geradezu aus dem Einheitsgrau der umliegenden Häuser hervor. Benannt wurde es nach dem Gott des Handels, passend zur Messe. Wenigstenswaren einige der Restaurants auch für die normalsterblichen Leipziger zugänglich. So gab es ein japanisches und ein italienisches Restaurant und eins mit der typischen gehobenen Interhotel-Küche.
Da meine Eltern nicht wahnsinnig gerne zu Hause kochten, gingen wir an den Wochenenden manchmal in Interhotels essen, auch ins »Merkur«. Dort saß im Restaurant »Arabesque« in geradezu »westlich-dekadenter« Atmosphäre ein Pianist hinterm Klavier und spielte dezente Musik, natürlich keine Ostsachen, sondern »internationale Evergreens«. Kellner in schwarzen Anzügen servierten den Zonis, die einen der begehrten Sitzplätze erhaschen konnten, allerlei Köstlichkeiten. Anschließend bummelte die Familie noch durch die beiden großen Intershops, die es im Haus gab, und durch die Hotellobby. So konnte man mitten in Leipzig ein paar Stunden im Westen zubringen, um anschließend wieder in die DDR zurückzukehren.
»Exquisit« und »Delikat« waren weitere Konsumoasen in der DDR. Um in den 80er Jahren die steigende Nachfrage nach hochwertigeren Produkten wenigstens in Ansätzen abzudecken, wurden in allen größeren Städten Exquisit-Geschäfte eröffnet, wo man für viel DDR-Geld einigermaßen ordentliche Schuhe und Klamotten kaufen konnte. Ähnlich verhielt es sich mit den Delikat-Geschäften für Nahrungs- und Genußmittel. Kam Besuch von drüben, wurde natürlich die Wurst im Delikat gekauft, denn man wollte ja was Ordentliches auftafeln. Im Vergleich zum Intershop waren sie jedoch nicht annähernd so bunt, und darum lohnte sich für mich dort auch kein Schaufensterbummel.
So existierte regelrecht eine Drei-Stufen-Konsumgesellschaft,die man sich ungefähr so vorstellen muß: Da gab es die, die im Intershop einkaufen gingen, weil sie spendable Westverwandtschaft hatten oder nach Feierabend
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