DJ Westradio
Maschinen und technische Anlagen konnten wir absolut nichts anfangen. Hingegen wand sich vorm Stand von Volkswagen eine endlose Schlange, weil hier zur vollen Stunde Autoprospekte ausgeteilt wurden. Wir stellten uns geduldig in die Schlange und erwischten auch einen. Weißes Hochglanzpapier mit roten VW-Autos darauf. Wir grasten weiter alle möglichen Stände ab, und erste Werbebeutel füllten sich mit weiteren Werbebeuteln und bunten Aufklebern. Die begehrten Kugelschreiber packten wir immer gleich in unsere Jackentaschen, falls wir von der Hallenaufsicht angehalten oder Halbstarke uns unsere Schätze abnehmen würden.
Ein Geheimtip war die Firma Winter. Was die genau herstellte, wußte keiner, aber deren Mitarbeiter verteilten Nagelfeilen mit dem Firmenlogo drauf. Die Leute am Stand müssen sich ein bißchen vorgekommen sein wie UNESCO-Helfer in Afrika. Mit was für kleinen Dingen man doch Kinderaugen zum Leuchten bringen konnte! Beim Verteilen von Werbematerialen mußten die Standbetreuer übrigens recht unauffällig agieren. Nicht weil es verboten war, sondern wenn zu viele mitkriegten, daß da gerade was verschenkt wurde, gab es einen Run auf den Stand mit anschließender Belagerung. An normalen Geschäftsbetrieb war dann erst mal nicht mehr zu denken. Viele entnervte Westfirmen hatten darum ihre Stände mit Schildern zugepflastert, auf denen stand: »Kein Werbematerial!!!«
Das absolute Highlight war die westdeutsche Firma LEMO , die eine Maschine aufgebaut hatte, mit der Plastebeutel hergestellt wurden. Dort bildete sich stets eine riesige Schlange, die stundenlang geduldig wartete, bis die Mitarbeiter gönnerhaft die Maschine in Betrieb setzten und frische Beutel verschenkten.
Kurz vor Schluß um 18 Uhr zogen wir nach Hause. Am nächsten Tag in der Schule präsentierten wir unseren Mitschülern unsere Beutestücke, und nachmittags machten wir uns natürlich wieder auf den Weg.
Marco aus meiner Klasse hatte einmal an einem Messestand eine Dose Coca-Cola geschenkt bekommen. Voller Stolz trug er seine Beute in einem ebenfalls geschenkten Werbeplastebeutel durch die Hallen. Kurz darauf hielten ihn zwei Polizisten an und fragten nach seinem Messeausweis. Einen solchen hatte er nicht, weil er noch keine 14 Jahre alt war. Die Cola-Dosewurde beschlagnahmt, und Marco sollte umgehend das Messegelände verlassen. Die Polizisten verschwanden um die Ecke. Marco sah noch, wie sie seine Cola-Dose öffneten und austranken. Auch Volkspolizisten waren nur Menschen. Sein Vater war übrigens auch einer.
Etwas enger ging es in den Messehäusern der Innenstadt zu. In einem stellten japanische Firmen Kassettenrekorder und Walkmen aus. In der Hoffnung auf einen Prospekt oder Aufkleber harrten Unzählige vor den Ständen aus, so daß man absolut keine Chance hatte, sich die Exponate anzuschauen. Bei den Ständen der Spielzeugfirmen LEGO und Matchbox im Petershof war das genauso. Trotzdem schlich ich dort herum, in der Hoffnung, einen Prospekt abzufassen. Die Verteilzeiten waren ausgehängt, und der Stand war so massiv gebaut, daß er selbst dem Andrang einer größeren Menschenmasse standhielt. Schließlich wollten die Mitarbeiter nicht zerdrückt werden. Diese Kataloge waren wirkliche kleine Schätze, weil man später zu Hause stundenlang darin rumblättern und sich überlegen konnte, was man wohl von all den schönen Spielsachen gerne gehabt hätte.
War die Messewoche um, rannte die halbe Schule mit silbernen Toshiba-Werbebeuteln rum, und an den Aktenkoffern der Neunt- und Zehntkläßler leuchteten neue Aufkleber von L’Oréal oder dem Landeswappen von Nordrhein-Westfalen. Die Jacken waren geschmückt mit Anstecknadeln von Krupp und Mannesmann, und in den Federmappen steckten neue Kulis von IVECO. Einige trugen auch neue Westklamotten, die der Messebesuch mitgebracht hatte. Überall hatte er Spuren hinterlassen, der Westen.
Wirklich gebraucht haben wir die Werbegeschenke natürlich nicht. In der DDR gab es überall Kulis zu kaufen, und auch unsere Sachen mußten wir nicht in Eimern durch die Gegend tragen. Es war eher eine Art Sport, ein Sammelfieber. Denn für kleine Geschenke sind die Menschen immer zu haben, und wenn es nur ein bunter Kugelschreiber ist.
Neue Musik-Wellen
Musik habe ich schon seit meiner frühesten Kindheit oft und gerne gehört. Das ist an sich nichts Besonderes, denn im Kindergarten wird ja bekanntermaßen ständig irgendwas gesungen. Und in der Schule sangen wir natürlich auch, vor allem
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