Djihad Paradise: Roman (German Edition)
gewesen wäre. Und ich, ich fand so gar nichts an meinem Leben mit neunzehn.
Ich betete und hoffte, einen Sinn in all dem zu finden. Manchmal beruhigte es mich, aber manchmal auch nicht. Aber einen Sinn ergab das alles nicht. Schon lange nicht mehr.
Nach dem Gespräch mit Shirin war ich nach Hause geschlichen, hatte mich ins Bett gelegt und der Schmerz hatte mich mit sich fortgerissen und ich war in einen traumlosen Schlaf gefallen. Es war wie eine Art Koma. Schwarz. Einfach schwarz. Eine Woche. Eine ganze Woche hatte dieser Zustand angehalten.
Aber eines Tages hatte ich die Augen aufgeschlagen und hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war. Das Letzte, woran ich mich erinnern konnte, war, mich hingelegt zu haben. Ich glaube, ich habe eine ganze Woche geschlafen, aber sicher bin ich mir nicht.
In den folgenden Wochen war ich von allem ganz weit weg. Ab und zu traf ich mich mit meinen neuen Freunden, aber ich konnte es nicht genießen und wenn ich ehrlich bin, war ich am liebsten allein. Meine Eltern begannen schon wieder damit, ihre Stirnen in Falten zu legen, aber ich konnte es ihnen nicht sagen. Julian ist tot. Nein, das, das konnte ich niemandem sagen, denn ich bildete mir ein, solange ich es nicht aussprach, war es nicht wahr. Oder vielleicht war es auch so, dass ich dachte, wenn ich es aussprechen würde, würde es wahr werden, obwohl es ja jetzt schon wahr war.
Eigentlich hätte ich Julians Vater davon erzählen müssen, aber ich konnte nicht. Er hatte sogar zwei Mal angerufen, aber ich habe mich nie wieder bei ihm gemeldet. Es ging einfach nicht.
Drei Monate war ich durch diese Welt geschlichen, zu der ich nicht mehr gehörte, aber dann hatte ich beschlossen, dass das so nicht weitergehen konnte und versuchte, mich zusammenzureißen. Das Abi hatte ich in der Tasche, aber ich wusste noch immer nicht, ob und, wenn ja, was ich studieren sollte. Ich hatte keine Lust dazu, aber ich zwang mich, zum Kickboxen zu gehen, ich zwang mich, den Kontakt zu meinen Freunden aufrechtzuerhalten und ich zwang mich, Allah, den Barmherzigen, nicht anzuzweifeln. Erst ganz, ganz langsam ging es mir nach und nach ein wenig besser.
Und nun stand Weihnachten vor der Tür. Eigentlich war mir Weihnachten nicht wichtig, aber ich wusste, dass es meiner Familie wichtig war und ich wollte ihnen das Fest nicht versauen. Also raffte ich mich auf und zog los, um ein paar Geschenke zu kaufen. Nur für Theresa hatte ich nichts gefunden. Und vier Tage vor Weihnachten wurde ich dann nervös. Es war Samstag. Meine letzte Chance. Gefühlt hatte ich alle Geschäfte der Stadt abgeklappert. Da kam ich am Alex vorbei, wo diese neue hässliche Mall war. Unschlüssig stand ich auf dem Platz und hatte auf einmal ein ganz eigenartiges Gefühl. Eine Unruhe machte sich in mir breit und bei dem Gedanken, jetzt gleich das Alexa zu betreten, schlug mein Herz schneller. Es war mir völlig unerklärlich. Und weil ich es mir nicht erklären konnte, zwang ich mich, meinen Fuß über die Schwelle zu setzen.
Last Christmas, I gave you my heart. But the very next day you gave it away. This year, to save me from tears … , jaulte unvermeidlich Wham aus den Lautsprechern und am liebsten wäre ich wieder rückwärts nach draußen gegangen, aber ich riss mich zusammen. Und dann kaufte ich den Bären …
Und jetzt stehe ich da und starre den Typen an, um den ich drei Monate getrauert habe. Ich verfluche dich, Shirin! Warum trägt Julian wieder seine Rapper-Klamotten? Ist er vom Glauben abgefallen? Ist er ein Murtadd? Hat Shirin deshalb gelogen? Oder …? Meine Knie werden weich. Ich schrumpfe zu einem winzigen Nichts, einem winzigen Blutkörperchen, das in dem viel zu schnell dahinrauschenden Blut in meinen Adern einfach mitgerissen wird. Oder steht er kurz vor der Vollendung seiner Mission? Uns trennen nur noch zwei Meter.
Romea ist auf mich zugelaufen. Zwei Meter trennen uns noch. Ein Lächeln gleitet über ihr Gesicht. Aber jetzt, jetzt bleibt sie plötzlich stehen. Ihre Züge erstarren. Ahnt sie etwas? Ja, sie ahnt es. Nein, sie weiß es. In ihren Augen sehe ich, dass sie es weiß.
Mein Handy klingelt schon wieder. Ich gehe nicht ran. Die Wirkung des Nashids ist verflogen. Der Burak bäumt sich drohend vor mir auf und ich weiche zurück. Immer weiter und weiter. Romeas Augen. Schlingpflanzengrün. Und ich stürze. Stürze und stürze, und dann bin ich mitten in Romeas Traum, den sie mir damals erzählt hat. Sie hat das Meer für mich verlassen und
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