Djihad Paradise: Roman (German Edition)
beendet. Mit ausgestrecktem Zeigefinger versuchte er, sich über seinen gewaltigen Bauch zu beugen. Er stieß einen angestrengten Seufzer aus und erwischte den Anschaltknopf seines LCD-Bildschirms. Mit einem weiteren, diesmal zufriedenen Seufzer ließ er sich zurück in seinen Drehsessel fallen und starrte auf den Monitor.
Wieder folgten Murat und ich Memnun und seinen Schlappen, und diesmal führte er uns tatsächlich in den Teil der Schule, den wir gestern nicht zu sehen bekommen hatten. Wir stellten unsere Fliflops vor der Tür zu den anderen und gelangten in einen Raum, der mit einem großen Reisstrohteppich ausgelegt und schon gut gefüllt war. Am Ende des Raums saß der Sheikh hinter einem geschnitzten Koran-Ständer. Er kraulte sich seinen langen tiefschwarzen Bart, kaute versonnen an einem Wurzelholzstöckchen, das viele der tiefgläubigen Muslime als Zahnbürsten benutzten, und beobachtete dabei gelassen das Eintreten seiner Schüler. Abdel Rahman hatte ein riesiges Gebetsmal auf der Stirn und ich fragte mich beeindruckt, wie viele Jahre man wie oft am Tag gebetet haben musste, um ein solches Mal zu bekommen.
Wir setzten uns zu den anderen und ich ließ meinen Blick über meine Mitschüler schweifen. Erstaunt stellte ich fest, dass man tatsächlich ohne Übertreibung sagen konnte, dass diese Klasse international war, und meine Befürchtung, ich könnte möglicherweise der einzige mitteleuropäische Konvertit sein und eventuell allein dadurch negativ auffallen, zerstreute sich. Meine Mitschüler waren Schwarze, Araber, Europäer, Asiaten. Und wir waren alle Brüder. Die ganze Welt, die ganze Gemeinschaft der Muslime, die Umma, gespiegelt auf fünfundzwanzig Quadratmetern in Galabiyas und Häkelmützen oder in T-Shirts und Jeans. Alle Rassen friedlich vereint am Anfang des langen und beschwerlichen Weges ins Paradies.
Der Unterricht begann und wir mussten kurz nach vorne gehen und uns vorstellen. Abdel Rahman befragte uns auf Englisch, genauso, wie uns gestern Arif Ibn Asmi befragt hatte, während die Koran-Unterrichts-Umma uns neugierig beäugte. Plötzlich erkannte ich Samir wieder und freute mich. Denn obwohl Samir noch zu den Verlorenen zählte, weil er noch nicht konvertiert war, mochte ich ihn irgendwie. Aber es freute mich sehr, dass er hier war und wahrscheinlich früher oder später konvertieren würde, sodass er nicht in die Hölle kommen würde.
Der Unterricht wurde auch weiterhin in Englisch fortgesetzt. Ich war ein wenig enttäuscht. Englisch war die Sprache der westlichen Shaitane. So hatten wir es jedenfalls zu Hause in der Moschee gelernt. Entweihten wir nicht den Koran, wenn wir in seiner Gegenwart Englisch sprachen? Andererseits – wie sollten wir sonst kommunizieren? Hocharabisch konnten wir ja alle noch nicht, deswegen waren wir ja hier. Und überhaupt wurde Hocharabisch ohnehin von niemandem wirklich gesprochen. Es war die heilige Sprache des Korans und der Gelehrten. Und die Schriftsprache.
Wir begannen vorne. Ganz vorne. Erste Sure. Al-fatiha. Abdel Rahman erläuterte, dass sie auch fatihat al-kitab oder auch fatihat al-Quran oder umm al-kitab genannt wird. Dann erhob er sich und drehte uns den Rücken zu in Richtung des grün gemalten Qibla-Schildes, das die Richtung nach Mekka angab, und sagte: »Takbir!«
Alle erhoben wir uns, die Hände in Ohrhöhe erhoben. »Allahu aqbar!«, sagten wir gleichzeitig.
Dann legten wir die Hände flach an die Seiten unserer Oberschenkel an. Und Abdel Rahman sprach uns Zeile für Zeile vor und wir mussten jede Zeile zehn Mal wiederholen, während die Neonröhren ihr bläulich flackerndes Licht über uns warfen und die altersschwache Klimaanlage lautstark vor sich hin stotterte.
»Bi-smi Ilahi r-rahmani r-rahim – Im Namen des barmherzigen und gnädigen Gottes – al hamdu li-Ilahi rabbi l-’alamin – Lob sei Gott, dem Herrn der Welten – Ar-rahmani r-rahim – dem Barmherzigen und Gnädigen – Maliki yaumi d-din – der am Tag des Gerichts regiert! – Iyyaka na’budu wa-iyyaka nasta’in – Dir dienen wir, und Dich bitten wir um Hilfe – Idhina s-sirata l-mustaqim – Führe uns den geraden Weg – sirata l-ladhina an’amta ’alayhim ghayri l-maghdubi ’alayhim wa-la d-dallin – den Weg derer, denen Du Gnade erwiesen hast, nicht den Weg derer, die Deinem Zorn verfallen sind und irregehen! Amin – Amen.«
Abdel Rahmans Stimme war ruhig und weich und sanft – ich liebte sie sofort. Und Arabisch – was liebte ich diese Sprache.
Weitere Kostenlose Bücher