Djihad Paradise: Roman (German Edition)
Immer wieder fielen mir die Augen zu, und immer, wenn ich aus meinem Sekundenschlaf hochzuckte, starrte ich sehnsüchtig aus dem Fenster, ob es denn nicht bald richtig dunkel würde. Endlich war es so weit. Wir verrichteten das Nachtgebet und auf einmal war ich so aufgekratzt, dass ich nicht einschlafen konnte. Meine Vision mit dem Burak kreiste und kreiste in meinem Kopf herum. Was hatte sie nur zu bedeuten? Blasphemie? Eine Bewusstseinstrübung oder war ich wirklich auserwählt? Sie hatte sich so echt angefühlt. Ich hatte sogar die zuckenden und schweißgebadeten Flanken des Burak gespürt. Und diese Musik. Warum hatte ich diese unglaubliche Musik gehört, wo doch jegliche Musik haram war, weil sie von Allah, dem Allmächtigen, ablenkte?
Erst kurz vor dem Fadschr musste ich eingeschlafen sein und der heilsame Schlaf verwehte die Vision wie eine laue Brise ein abgestorbenes Blatt.
Ich war so unglücklich, als Abdel abgereist war. Drei Monate. Drei ganze Monate. Aber ich war ja auch selbst schuld, schließlich hatte ich ihm die ganze Sache eingeredet.
Damit ich nicht ständig an Abdel denken musste, verbrachte ich jetzt viel Zeit mit den Frauen, vor allem mit Shirin. Wir waren ein fester Kreis und trafen uns zweimal die Woche in einem Hinterzimmer der Moschee, um über alles Mögliche zu diskutieren.
Doch eines Tages tauchte Djamila nicht auf. Eine seltsame Stimmung hing im Raum.
»Weiß jemand, was mit Djamila ist? Ist sie krank?«, fragte ich.
Die Frauen schwiegen. Schwiegen lange. Und ihr Schweigen war eisig. Schließlich sagte Faizah: »Ja, Djamila ist krank. Im Kopf ist sie krank und im Herzen verfault.«
Ich verstand kein Wort. »Djamila ist verrückt geworden?«
»Nein, Dummchen! Sie ist eine Murtadda, eine vom Glauben Abgefallene.«
Ich musste schlucken. »Aber … aber wie kann sie so etwas denn tun? Sie ist doch schließlich in den Islam hineingeboren?«
Die Frauen blickten finster vor sich hin.
»Das ist ja noch lange nicht alles. Jetzt will sie auch noch Buddhistin werden. Das ist Schirk, Götzendienst. Wie kann sie das nur tun?«, ereiferte sich Safiya.
Meine Hände zitterten. Es wollte mir einfach nicht in den Kopf gehen, wie man dieser wunderbaren Religion einfach so den Rücken kehren konnte, um dann in diese grauenhafte Welt da draußen zurückzukehren. Wie konnte sie nur die Herrlichkeit des Paradieses gegen ein paar irregeleitete Jahre auf dieser Welt eintauschen? Welch schreckliche Höllenqualen würde die Ärmste dafür erdulden müssen? Ich wurde von einer solchen Traurigkeit erfasst, die ich gar nicht mit Worten beschreiben konnte. Vielleicht war Djamila ja wirklich verrückt geworden? Anders konnte ich mir ihre Entscheidung gar nicht vorstellen.
»Wir müssen ihr irgendwie helfen«, schlug ich vor. »Bestimmt ist sie nur verwirrt. Wir müssen sie zur Reue auffordern. Dann kommt sie sicherlich gerne wieder zu uns zurück«, schlug ich vor und sah die anderen erwartungsvoll an.
Safiya spuckte aus. »Die kommt nicht zurück. Alles, was sie getan hat, ist Schirk. Sie hat uns alle belogen, betrogen. War sie es nicht, die uns allen immer die Supermuslima vorgespielt hat, die den Koran auswendig konnte? Aber das war alles Heuchelei! Sie ist eine Murtadda und das ist überhaupt das Schlimmste!« Sie spuckte noch einmal aus.
Nour ergriff das Wort und auch sie war verbittert. So was von verbittert: »Sie hat den Tod verdient.«
Die Frauen murmelten zustimmend. Außer Shirin. Die schwieg.
»Aber das ist doch Unsinn! Ein Mensch kann doch keinen anderen dazu zwingen, etwas zu glauben. Das ist doch etwas, was nur zwischen ihr und Allah, dem Barmherzigen, ausgehandelt werden kann!«, rief ich. »›Ertrage geduldig, was die Ungläubigen sagen und halte dich schön vor ihnen zurück! Überlass das nur mir, was mit denen geschehen soll, die die göttliche Botschaft für Lüge erklären und sich des Wohlbefindens erfreuen‹«, zitierte ich ein paar Verse aus der dreiundsiebzigsten Sure. »Ja, sicher wird Allah, der Barmherzige, sie irgendwann bestrafen. Aber es ist doch nicht an uns, dies zu tun!« Ich war verzweifelt. Wie konnten sich meine Schwestern zu einer solchen Selbstgerechtigkeit aufschwingen und sich in Allahs, des Barmherzigen, Angelegenheiten einmischen wollen? Das war doch auch haram.
Aber da fielen sie alle über mich her. Was ich mir denn einbildete. Gerade mal drei Monate konvertiert und schon spielte ich mich auf. Und ich hätte doch überhaupt keine Ahnung.
Ich blickte
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