Djihad Paradise: Roman (German Edition)
unüberwindbares Hindernis. Und so blieb ich einfach auf dem Sofa liegen. Aber jedes Mal, wenn ich kurz davor war einzunicken, schreckte ich auf, weil aus Omars Zimmer ein solches Gehuste und Geröchel kam, dass ich mir langsam Sorgen um ihn machte. Und dazu kam noch, dass mir langsam so richtig klar wurde, was ich vorhin mit meinem Zitat ausgelöst hatte: Ich würde Djihadist werden. Es gab kein Zurück mehr. Aber je mehr ich darüber nachdachte, desto weniger schlimm fand ich es. Meine Vision war ein Zeichen Allahs, des Allmächtigen. Wie konnte ich es mir anmaßen, diesen Ruf zu überhören? Gar nicht.
Gut, vielleicht würde ich sterben, aber andererseits wäre ich dann schneller im Paradies. Und dadurch würde auch Shania auf jeden Fall dorthin kommen, denn ein Märtyrer war ein Garant dafür, dass die Familie dorthin nachfolgen würde. Und mit meinem Handy surfte ich noch ein wenig im Grauen herum, so lange, bis ich ganz sicher war, dass es nur gut war, in den Krieg zu ziehen. Denn der Westen, er griff uns an. Aber ich, ich wäre mit dabei, um meine Brüder und Schwestern zu verteidigen.
Am nächsten Tag nach dem Koran-Unterricht verschwand Murat plötzlich und war unauffindbar, aber am Abend war er wieder in unserem Wohnturm und baute sich vor mir auf.
»Nur damit du es weißt: Ich werde auch in den Kampf ziehen!«, verkündete er mir, ehe er wortlos in seinem Zimmer verschwand.
Murat? Als Kämpfer? Der kleine Kerl? Aber ich kam gar nicht dazu, über seine Beweggründe nach zu grübeln, denn aus Omars Zimmer drangen wieder diese entsetzlichen Geräusche. Und als ich nach ihm sah, wirkte er, als wäre er kurz vorm Ersticken. Ich rief den Leiter der Schule an und der holte den Notdienst. Murat kam noch einmal aus seinem Zimmer geschlurft und verfolgte das Geschehen mit verstörtem Blick. Omar wurde auf eine Bahre gehievt.
»Omar! Was machst du denn für einen Scheiß?«, fragte Murat.
Omar lächelte müde.
»Hey, Bruder. Morgen besuchen wir dich im Krankenhaus. Und dann siehst du wieder munterer aus. Versprich uns das!«, sagte ich, während ich neben der Bahre hertrabte.
»Versprochen«, sagte Omar und hob den Daumen. Aber in diesem Moment krümmte er sich und stöhnte vor Schmerzen. Die Sanitäter schoben ihn in den Krankenwagen, sprangen ins Fahrzeug und fuhren mit Blaulicht davon. Und als wir am nächsten Nachmittag ins Krankenhaus kamen, da durften wir nicht zu ihm.
»Kommt nächste Woche wieder«, sagte die Schwester am Empfang.
Aber als wir in der darauffolgenden Woche noch einmal vorsprachen, da hieß es, Omar sei tot. Eine Woche bevor er ins Ausbildungscamp gehen wollte, starb er. Lungenkrebs. Austherapiert. Exitus. Es war einfach nicht zu fassen.
Und ich konnte mir nicht helfen, aber diesmal schien mir der Weg Allahs vollkommen idiotisch. Oh, Allmächtiger, vergib mir, ich meinte, unergründlich.
Seit dem Streit mit Shirin war ich echt einsam geworden, aber nachdem ich das wahre Gesicht meiner Schwestern gesehen hatte, wollte ich auch nichts mehr mit ihnen zu tun haben. Sie waren Verblendete und dabei hatten sie doch selbst den Koran gelesen. Sie erhöhten sich, indem sie sich auf die Rücken anderer stellten. Das war nicht halal.
Aber zumindest hatte ich jetzt sehr viel mehr Zeit, mich meinen eigenen Koran-Studien zu widmen und Arabisch zu lernen. Diese Sprache faszinierte mich und ihren Klang liebte ich so sehr, dass ich sehr schnell vorankam. Das war das Einzige, was mich hier noch froh machte.
Aber nun würde bald alles nicht mehr schlimm sein, denn Abdel würde zurückkehren. Ich hatte schon seit Tagen nicht mehr richtig schlafen können, weil ich mich so sehr auf seine Ankunft freute. Klar, er schrieb ab und zu und ein paarmal telefonierten wir auch, aber was waren schon eine E-Mail oder ein Telefonat im Vergleich dazu, sich wirklich zu sehen?
Und dann endlich waren die drei Monate vorbei und wir standen uns wieder gegenüber. Abdel ließ seinen Rucksack fallen und ich flog ihm in die Arme. Wir waren so ausgezehrt, dass der Rest echt nicht mehr jugendfrei war und es dauerte eine ganze Weile, bis wir beide erschöpft nebeneinanderlagen. Und erst dann wechselten wir das erste Wort seit Monaten, und wenn ich ehrlich bin, ich wünschte, wir hätten geschwiegen.
»Süße! Es ist Großes passiert!«, fing Abdel an, während er meinen Kopf streichelte.
»Echt? Was denn?«, fragte ich. In seinen Mails war das nie angeklungen. »Du hast gar nichts erwähnt?«
»Na ja, das … ich … es
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