Doberstein & Rubov 01 - Feuerfrauen
meinem Vater.«
»Was war denn an dem so schlimm? Hat er seinen Job verloren? Oder war er Trinker? Oder war eine Geliebte im Spiel?«
»Es gab ihn gar nicht erst.«
Die andere stutzte. Hatte sie das Gespräch bis eben noch mehr oder weniger gelangweilt, war ihre Aufmerksamkeit nun geweckt. Sie wollte nun mehr über ihre Freundin wissen – und wunderte sich, warum sie erst jetzt, in dieser Zwangslage, über solche Dinge sprachen. »Ganz ohne Vater würde es dich wohl kaum geben, Süße.«
»Wohl kaum.«
Gabriele musste bohren, denn Sina schien plötzlich nicht weiterreden zu wollen. »Also? Was hat er getrieben, dein Erzeuger? Hat er sich abgesetzt, nachdem er dich das erste Mal in der Klinik zu Gesicht bekommen hat?«
Sina fand das nicht überhaupt lustig. »Er hat sich tatsächlich abgesetzt. Aber noch bevor er mich in den Armen halten konnte. Meine Mutter war im vierten Monat schwanger. Ungewollt. Er ist fortgezogen. Nach Würzburg.«
»Naja, Nürnberg-Würzburg. Das ist ja nicht die Welt.«
»Für seine Zwecke hat es gereicht.«
Gabriele war mittlerweile sichtlich ergriffen von Sinas Lebensbeichte. »Du willst mir doch nicht erzählen, dass dein Vater die läppischen 100 Kilometer nicht wenigstens ab und zu hinter sich gelegt hat, um sein Töchterchen zu besuchen. Wenigstens Weihnachten. Oder zum Geburtstag?«
Sina starrte auf den Boden. »Nein. Hat er nicht.«
Gabriele fuhr wütend auf. »Ja, aber …« Sie bemerkte plötzlich, dass sie ihre Freundin mehr aus der Reserve gelockt hatte, als ihr lieb war. »Aber dieser Mistkerl muss doch so etwas wie ein Gewissen gehabt haben.«
»Was glaubst du, wie oft ich mir genau darüber Gedanken gemacht habe! Ja, meine Mutter, die konnte ihn irgendwann abschreiben. Die konnte die kurze Affäre mit ihm irgendwann ad acta legen. Aber ich? Seine Tochter? Ich habe immer wieder an ihn gedacht. Wollte wissen, was er für ein Mensch ist. Konnte mir einfach nicht vorstellen, von so einem Mister Herzlos abzustammen.«
»Und?«, fragte Gabriele leise.
»Ich habe die Sache selbst in die Hand genommen.«
Gabriele schaute auf. Alles in ihr spannte sich an.
»An meinem 18. Geburtstag«, fuhr Sina fort. »Meine Mutter war strikt dagegen. Aber mir war das egal. Ich habe mich in den Zug nach Würzburg gesetzt.«
Gabriele war ergriffen. Sie hing förmlich an Sinas Lippen. »Woher wusstest du, wo du ihn finden konntest?«
Sina lächelte das erste Mal seit dem Beginn dieses Gesprächs. »Das war nicht schwer. Ich kenne seinen Beruf.« Sie lächelte noch immer. »Er ist Professor. Doziert an der Uni. Du siehst, ich habe die Erbanlagen eines Hochgebildeten in mir. Unterschätz mich also nicht wieder.«
Die Ältere winkte ab, denn sie wollte endlich wissen, wie die Story weiterging. »Bist du in sein Büro gegangen, oder was?«
»Wollte ich eigentlich. Aber ich habe mich nicht getraut. Was sollte ich ihm auch sagen? Dass ich Sina bin? Sein Töchterchen Sina?« Sie scheuerte ihren Rücken unruhig am Schrank. »Nee. Ich habe mich in eine seiner Vorlesungen gehockt. Mitten zwischen die Studenten. Mein Herz hat geklopft wie wild. Erst habe ich erwartet, dass der Mann, auf den wir da alle warteten, mir genau so fremd sein würde wie den anderen jungen Leuten um mich herum. Aber, verdammt, als er kam –« Sina stockte einen Augenblick. Dann blickte sie Gabriele direkt in die Augen: »Gabi, ich sag dir, es gibt so etwas wie eine Kommunikation zwischen den Genen. Mit jeder Minute, die ich ihn beobachtete, wurde er mir vertrauter. Bewegungen, selbst ganz unbedeutende, kamen mir seltsam vertraut vor. Ich entdeckte an ihm Verhaltensmuster, die genauso gut auf mich zutreffen könnten. Plötzlich wusste ich auch über viele Gesichtsausdrücke Bescheid, von wem ich sie geerbt habe. Ja, das war mein Vater!«
Gabriele verspürte den Drang, Sina die Hand auf die Schulter zu legen. Aber sie ließ es und fragte stattdessen nur: »Hast du ihn angesprochen?«
»Nein. Jedenfalls nicht sofort. Ich habe eine Nacht gewartet. Habe mir ein Zimmer genommen und nachgedacht. Dann habe ich ihn angerufen. In seinem Büro. Er blieb ganz sachlich. Keine Überraschung. Weder Freude noch Gram. Er sprach mit mir, als wäre ich eine seiner Studentinnen. Er schlug vor, dass wir gemeinsam essen gehen könnten. Wollte mich von der Pension abholen.«
»Wollte?«
»Nein, er hat mich von der Pension abgeholt.« Sina blickte wieder weg.
Gabriele konnte nur noch ihr Profil sehen, erkannte aber, dass ihre Augen
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