Doch die Sünde ist Scharlachrot
machte wohl wirklich einen Mann aus ihm, der alles tun würde, um zu verhindern, dass einem anderen Menschen das Gleiche passierte wie ihm selbst. Und davon abgesehen, war gerade seine Anfälligkeit vielleicht von Vorteil, denn eine verletzliche Person mochte eine andere dazu verleiten, in ihrer Gegenwart Fehler zu machen. Und diese Fehler sollte vorzugsweise Dr. Trahair machen. Sie hatte bereits einen begangen, und andere würden folgen.
»Na schön«, lenkte Bea ein. »Kommen Sie mit. Wir haben hier einen Mann in der Stadt, der wegen schwerer Körperverletzung gesessen hat. Die Sache ist ein paar Jahre her. Er hat dem Richter vorgejammert, der Alkohol wäre schuld gewesen, aber da sein Opfer seit dieser Geschichte querschnittgelähmt ist …«
»Ach du Schande!«, warf Havers ein.
»… hat der Richter ihn zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Inzwischen ist er wieder draußen – mitsamt seinem Jähzorn und seiner Neigung zum Suff. Und er kannte Santo Kerne. Irgendwer hat dem Jungen kurz vor seinem Tod ein blaues Auge verpasst. Zugegeben, es war nicht die Schlägerei, die zu seinem Tod geführt hat, aber wir sollten diesen Kerl trotzdem gründlich unter die Lupe nehmen.«
Will Mendick arbeitete im Blue-Star-Supermarkt, jenem ultramodernen Flachbau, der an seinem Standort an der Kreuzung Belle Vue Lane und St. Mevan Crescent völlig fehl am Platze wirkte. Während der Fahrt hatte Bea Barbara Havers auf das nahe gelegene Adventures Unlimited aufmerksam gemacht, das unübersehbar oben auf dem Hügel thronte. Ebenfalls in der Nähe lag die Bäckerei Casvelyn of Cornwall, und als sie auf dem Parkplatz des Supermarktes ausgestiegen waren, hatte die Morgenbrise den Duft frisch gebackener Pasteten zu ihnen herübergetragen. Barbara Havers hatte gegen das verführerische Aroma angekämpft, indem sie sich eine Zigarette ansteckte. Gierig hatte sie daran gezogen, während sie um das Gebäude herumgegangen waren, und sie hatte sie halb aufgeraucht und dann weggeschnippt, ehe sie das Geschäft betraten.
In einer extrem optimistischen Anwandlung, was den nahenden Frühling betraf, hatte die Marktleitung die Heizung abgeschaltet, darum war es in dem Gebäude eisig kalt. Zu dieser Tageszeit war nicht viel Kundschaft anwesend, und nur eine der sechs Kassen hatte geöffnet. Dort erkundigten sich Bea und Sergeant Havers und wurden in den hinteren Teil des Gebäudes verwiesen. Hier trennte eine Doppelschwingtür das Lager vom Geschäft. ›Zutritt verboten‹, stand dort angeschlagen, und: ›Nur für Personal‹.
Bea trat ungerührt hindurch und hielt ihren Dienstausweis bereit. Einen unrasierten Mann, der im Begriff war, die Toilette aufzusuchen, hielt sie mit dem knappen Zuruf »Polizei!« auf. Er nahm nicht annähernd in dem Maße Haltung an, wie Bea es sich gewünscht hätte, schien aber zumindest kooperativ. Sie fragte nach Will Mendick.
»Draußen, nehm ich an«, lautete die Antwort, und so schlugen sie den Weg ein, den sie gekommen waren. Diesmal durchmaßen sie das Gebäude allerdings durch einen dämmrigen Gang, wo turmhohe Regale mit Papierprodukten und Konserven diversen Inhalts aufragten: genug Kartons mit Schriftzügen verschiedener Junkfood-Marken, um die Fettleibigkeit ganzer Generationen sicherzustellen.
Auf der Südseite des Gebäudes befand sich eine Laderampe voller Warenpaletten, die gerade von einem riesigen Lastwagen gewuchtet wurden. Bea hoffte schon, Will Mendick hier zu finden, aber eine neuerliche Nachfrage führte sie zu einer Reihe Müllcontainer am hinteren Ende der Rampe. Dort entdeckte sie einen jungen Mann, der aussortiertes Gemüse und andere Waren in einen schwarzen Müllbeutel stopfte – es handelte sich ganz offenkundig um Will Mendick bei einer jener subversiven Aktionen, für die Santo Kerne das merkwürdige T-Shirt-Logo entworfen hatte. Der junge Mann kämpfte gegen die Möwen an. Über ihm und um ihn herum flatterte es unablässig. Manche kamen ihm so nah, als wollten sie ihn aus ihrem Revier verjagen. Bea kam es vor wie eine Szene aus einem Hitchcock-Film.
Dann hielt sie Will Mendick ihren Dienstausweis hin. Er war lang aufgeschossen und hatte eine von Natur aus rosige Gesichtsfarbe, die sich allerdings sichtlich verdunkelte, als er erkannte, dass es die Polizei war, die ihn aufgesucht hatte. Definitiv die Haut eines Schuldigen, dachte Bea.
Mendick sah von Bea zu Havers und wieder zurück, und sein Ausdruck besagte, dass keine der Frauen so aussah, wie er sich eine Polizistin
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